Neurodivergenter Künstler (AuDHD/Autist/ADHS/Hochbegabung), Buchautor, TV- und Filmproduktion, Speaker, Artistic Research: Armutsforschung (Klassismusforschung) Die Zukunft der Arbeit. Neurodivergente Forschung, Bewusstseinsforschung (Qualia)
Neurodivergenter Künstler (AuDHD/Autist/ADHS/Hochbegabung), Buchautor, TV- und Filmproduktion, Speaker, Artistic Research: Armutsforschung (Klassismusforschung) Die Zukunft der Arbeit. Neurodivergente Forschung, Bewusstseinsforschung (Qualia)

Wissenschaftlicher Außenblick auf meine Forschung und Arbeit aus drei Jahrzehnten der Interventionen in Ökonomie, Kunst, Gesellschaft und staatlichen Stellen.

„Ich halte die empirische und wirtschaftstheoretische Untersuchung von selbstbestimmter Arbeit, wie Sie Herr Timothy Speed unternimmt für sehr sinnvoll. Konflikte mit dem konventionellen Verständnis von Arbeit als Lohnarbeit dürfen dabei nicht ignoriert werden.“ (Prof. Ernst-Ulrich von Weizsäcker)

„Ich danke Ihnen für Ihre klugen, interessanten Texte.“ (Jean Ziegler, UN Diplomat, Autor)

Hintergrund der Arbeit und Forschung von Timothy Speed

Timothy Speed (geb. 1973) ist ein britisch-österreichischer, neurodivergenter Künstler (Autist mit ADHS), Schriftsteller, Forscher und Aktivist. Seit rund 30 Jahren verbindet er Artistic Research, Aktivismus und Theorie zu einem einzigartigen Werk, das gleichermaßen in Sozialwissenschaften, Philosophie, Disability Studies und Kunst verortet ist. Im Zentrum seines Schaffens stehen Themen wie Arbeit und Armut, gesellschaftliche Diversität und Inklusion, sowie grundlegende Fragen der Bewusstseinsforschung. Als autistischer Künstler und Armutsforscher zeichnet sich Speed durch eine bewusst subjektive, autoethnografische Methodik aus: Er „faltet sich in die Welt hinein“ anstatt sie distanziert zu beobachten. Mit Haut und Kamera lebt er seine Forschung, indem er etwa unerwünscht in Unternehmen arbeitet oder Behörden provoziert. Diese embodied Herangehensweise – also eine verkörperte, direkt erlebende Forschungsperspektive – erlaubt es ihm, Missstände von innen aufzudecken und neue theoretische Einsichten aus eigener Erfahrung zu gewinnen. Speed selbst versteht Kunst und Forschung dabei als Einheit im Sinne eines Artistic Research, bei dem künstlerisches Handeln zum Experimentallabor für Gesellschaftstheorie wird. Sein Werk vereinigt so Theorie, Kunst und gelebten Widerstand in einzigartiger Weise.

Diese Einführung bietet einen wissenschaftlich strukturierten Überblick über Speeds Gesamtwerk der letzten drei Jahrzehnte. Zunächst werden seine Hauptwerke und deren zentrale Inhalte vorgestellt: Gesellschaft ohne Vertrauen, Die Physik der Armen, Radical Worker, Speeds Arbeit und der Roman Stieren des Weltdesigners. Anschließend werden die Schlüsseltheorien und Begriffe herausgearbeitet – etwa das MNO-Modell (Minimal-Nicht-Objekt), das Alles-Nichts-Paradoxon, arbeitsintegriertes Beziehungshandeln, Systemkreativität und Entfaltungsabstand. Daraufhin wird Speeds Methodologie und Sprache beleuchtet, insbesondere die Konsequenzen seines neurodivergenten, verkörperten und autoethnografischen Ansatzes. Schließlich wird sein Beitrag im interdisziplinären Spektrum verortet – im Vergleich und Dialog mit Ansätzen aus der Artistic Research, den Critical Autism Studies, der Philosophie des Geistes und Bewusstseinsforschung, der Care-Ethik sowie der radikalen Gesellschaftskritik. Dabei werden Verbindungen und Kontraste zu wichtigen Theoretiker:innen wie Donna Haraway, Francisco Varela, Damian Milton, Paul B. Preciado, Hartmut Rosa, Hannah Arendt, bell hooks, Robert McRuer, Michel Foucault, Gayatri Spivak und Rosi Braidotti herausgestellt.

Im Fokus steht, was Timothy Speeds Werk so einzigartig macht und welche theoretischen Innovationen er liefert. Seine Position als autistischer Intellektueller und Aktivist ermöglicht neue Perspektiven auf alte Fragen: Wie kann eine Gesellschaft lebendig und kreativ sein? Wie lässt sich Bewusstsein denken, wenn nicht die Dinge im Mittelpunkt stehen, sondern das Nichts? Welches Recht auf Arbeit und Anderssein haben Menschen in einem System, das Konformität erzwingt? In Speeds Antworten auf solche Fragen verbinden sich radikale Systemkritik und poetische Theorie zu einem beeindruckenden Gesamtwerk, das gerade aufgrund seines Außenblicks für die Wissenschaft fruchtbar ist.

Hauptwerke und zentrale Inhalte

Gesellschaft ohne Vertrauen (2005) – Kreative Systeme statt statischer Ordnung

In seinem sozialphilosophischen Werk „Gesellschaft ohne Vertrauen. Wie wir kreative und lebendige Systeme in Wirtschaft und Gesellschaft gestalten können“ skizziert Speed die innere Ordnung dynamischer, hoch-innovativer Systeme jenseits herkömmlicher Vertrauensmechanismen. Das Buch basiert auf einer essayistischen Intervention, die Speed 2005 ursprünglich veröffentlichte und 2025 grundlegend erweitertet hat. Im Zentrum steht die von ihm entwickelte MNO-Theorie (Minimal-Nicht-Objekt) – ein Modell, das Nichtlokalität, Subjektivität und soziale Ordnung aus einer strukturellen Lücke heraus begreift. Speed fordert damit nichts Geringeres, als Gesellschaft, Arbeit, Politik, Medien und Recht aus der Perspektive kreativer Systembildung neu zu denken.

Die provokative Leitidee dabei: Gesellschaftliche Stabilität soll nicht länger auf blindem Vertrauen in Institutionen oder festgefahrene Normen beruhen, sondern auf Vertrauen in die Subjektivität des Individuums als Ressource, sowie der Fähigkeit von Systemen, Differenz und Lückenhaftigkeit produktiv zu nutzen. Die „Ausnahme von der Regel“ – das, was nicht ins Schema passt – wird bei Speed zum Motor lebendiger Ordnung und Bewusstsein über gesellschaftliche Prozesse. Er zeigt auf, dass echte Innovation und Lebendigkeit in Wirtschaft und Gesellschaft nur entstehen, wenn wir Unterschied aushalten können, statt ihn auszumerzen. Entsprechend plädiert Gesellschaft ohne Vertrauen für eine Kultur, die Diversität als Stärke begreift und Individualität radikal schützt. Die Freiheit des Einzelnen steht im Mittelpunkt – jedoch nicht als neoliberal verkürzte Konsumfreiheit, sondern als „radikale, schöpferische Integrität“ des Menschen in komplexen Systemen.

Speed verbindet in diesem Werk systemtheoretische Analysen mit künstlerisch-poetischer Sprache. Er entwirft eine „systemisch-poetische Theorie des Bewusstseins“, in der subjektives Erleben keine Störung, sondern Grundachse gesellschaftlicher Ordnung ist. Sein Schreibstil bricht bewusst mit akademischer Trockenheit: Das Buch selbst wird „zum lebendigen Organismus“ erklärt, der Theorie, Kunst und gelebten Widerstand vereint. Diese Mischung aus persönlicher Perspektive und Theorie ist Programm – Speed betreibt keine neutrale Forschung über die Welt, sondern lebt in ihr und macht seine eigene Position zum Teil der Analyse. Damit schlägt er eine Brücke zu Donna Haraways Konzept situierten Wissens, indem er das partielle, verkörperte Wissen eines Autisten zur Erkenntnisquelle erhebt. Zugleich erinnert sein Vertrauen auf kreative Selbstorganisation an ökologische und posthumane Ansätze (wie etwa Rosi Braidottis Idee nomadischer, dynamischer Systeme), die klassische dualistische Ordnungen überwinden wollen. Insgesamt legt Gesellschaft ohne Vertrauen den Grundstein für Speeds spätere Theoriebildung, insbesondere das MNO-Modell, und fordert eine kreative Systemkreativität im Sozialen – sprich: die Fähigkeit von Gesellschaftssystemen, sich durch Abweichung, Selbstorganisation und Vielfalt immer wieder neu zu erschaffen.

Die Physik der Armen (2015/2025) – Bewusstsein aus der Lücke: Ontologie des Nichts

In „Die Physik der Armen. Eine neurodivergente Meta-Theorie des Bewusstseins“ wendet sich Speed den Grundlagen der Realität und des Geistes zu. Ausgelöst durch Jahre eigener Armutserfahrung – „Wer Objekte, Produkte, Dinge hat, ist wertvoll. Wer keine hat, ist wertlos.“ – beschließt Speed, die Physik neu zu schreiben, indem er nicht die Dinge zur Grundlage der Welt macht, sondern das „Nichts“. Dieser scheinbar kleine Kunstgriff hat weitreichende Folgen: Speed entwickelt eine originäre Strukturtheorie der Wirklichkeit, die sowohl die Naturwissenschaft als auch die Bewusstseinsforschung und Gesellschaftstheorie herausfordert.

Zentrales Element ist erneut das MNO (Minimal-Nicht-Objekt). Zusammen mit der Submergenz-Triade und dem Alles-Nichts-Paradoxon entwirft Speed eine fundamentale Ontologie, die gängige Bewusstseinsmodelle – etwa die Integrated Information Theory (IIT) oder das Global Workspace-Modell (GNW) – nicht verwirft, sondern tiefgreifend integriert und transzendiert. Er weist nach, dass Bewusstsein nicht als bloßes Produkt wachsender Komplexität verstanden werden kann, sondern als „emergente Entscheidung innerhalb einer strukturellen Lücke“. Mit anderen Worten: Bewusstsein entsteht aus dem Zwischenraum, dem Nicht-Objekthaften, das zwischen allen Dingen liegt. Hier zeigt sich das Alles-Nichts-Paradoxon (ANP): Die Welt lässt sich nicht vollständig als Ansammlung von Objekten konstruieren, denn es gibt etwas, das schlicht kein Objekt ist – ein Nichts, das jedoch die Beziehung zwischen Objekten erst ermöglicht. Dieses Nicht-Objekt (das MNO) fungiert als versteckte Quelle aller Form: Die Lücke wird zum Ursprung, das Nichts zum produktiven Prinzip.

Speed liefert damit einen neuartigen Lösungsansatz für das Hard Problem of Consciousness. Anstatt nach dem materiellen Ursprung von Qualia zu suchen, fragt er nach der Form der Leere, aus der Subjektivität selbst entsteht. Seine Antwort ist radikal: Das bewusste Erleben ist nicht Epiphänomen der Materie, sondern eine spontane Kreativleistung des Universums in sich selbst, vermittelt über strukturelle Lücken in Raum, Zeit und Kausalität. Diese Sicht verbindet theoretische Physik, Philosophie, phänomenologische Erfahrung und soziale Realität in einer kohärenten Meta-Struktur. Die Physik der Armen ist somit ein Werk der künstlerischen Forschung, eine „radikale Form des Denkens aus der Grenze – philosophisch, politisch, existenziell“.

Besonders bemerkenswert ist Speeds Epistemologie in diesem Buch: Er bringt nicht nur neue Begriffe hervor, sondern eine andere Art des Wissens – „aus dem Autismus, aus der Armut, aus dem Außen“. Indem er seine marginalisierte Perspektive (als verarmter Autist) zum Ausgangspunkt nimmt, bricht Speed mit akademischer Gewohnheit und liefert möglicherweise genau die frische Sicht, die die festgefahrene Bewusstseinsdebatte braucht. Hier zeigt sich deutlich ein Verwandtschaftspunkt zu Francisco Varelas Neurophenomenologie: Wie Varela die Innenperspektive (Erleben) und Außenperspektive (Neurowissenschaft) zusammenführen wollte, so integriert Speed subjektives Erfahrungswissen in eine formale Theorie. Allerdings geht Speed noch einen Schritt weiter, indem er den Leerstelle – das Nicht-Wissen oder Nicht-Sein – als positiv schöpferische Größe einführt. Damit knüpft er an mystisch-ontologische Traditionen (vom Dao bis Heideggers Nichts) an, formuliert sie aber neu im Kontext neurodivergenter Erfahrung. Für die Philosophie des Geistes bedeutet Speeds Meta-Theorie eine Herausforderung: Sie fordert die materialistische Annahme heraus, Bewusstsein erkläre sich allein aus immer komplexeren Objektnetzen, und schlägt stattdessen eine strukturale Dialektik von Etwas und Nichts vor. Diese Idee erinnert an dialektische Denker wie Hegel, doch Speeds Ansatz ist eigenständig: Ausgerechnet diejenigen, die nichts haben – die Armen – liefern ihm die Inspiration, alles neu zu denken.

Radical Worker (2021/2025) – Selbstbestimmte Arbeit und gelebte Gesellschaftskritik

In diesem Manifest verbindet Speed persönliche Feldexperimente in der Arbeitswelt mit theoretischer Gesellschaftskritik.

Mit „Radical Worker. Vom Recht auf selbstbestimmte Arbeit“ legt Speed ein Werk vor, das gleichermaßen Manifest, Feldstudie und Gebrauchsanleitung für eine andere Arbeitswelt ist. Ausgangspunkt ist Speeds eigene radikale Arbeitspraxis: Über zwei Jahrzehnte hat er als „Radical Worker“ verschiedenste Unternehmen, Behörden und Institutionen infiltriert – oft unangemeldet und unbezahlt – um die tatsächlichen Arbeitsbedingungen und Machtstrukturen aufzudecken. So arbeitete er heimlich mit, griff in Konzerne ein, stellte sich als Quereinsteiger in Vorstandsetagen oder bewarb sich öffentlich als Intendant des ZDF – alles, um die verborgenen Protokolle eines Systems sichtbar zu machen, „das Würde in Profit verwandelt und Kreativität in Gehorsam“. Speed lebt in diesen Aktionen das Rollenmodell eines „neuen Arbeiters“, der sich konsequent gegen die Logik reinen Gewinnstrebens stellt und stattdessen ökologische Wirkung, moralische Kohärenz und persönlichen Sinn zum Maßstab seiner Arbeit macht.

Für die wissenschaftliche und künstlerische Community demonstriert Speed damit exemplarisch, wie künstlerisches Handeln zur realen Infrastruktur werden kann. Kunst dient hier nicht bloß der Illustrierung von Kritik, sondern ist das Labor, in dem neue Formen von Arbeit und Wertschöpfung praktisch erprobt werden. In Radical Worker berichtet Speed von empirischen Feldversuchen: Damit offenbart er, wie sehr staatliche und wirtschaftliche Strukturen – der Kapitalismus in seiner aktuellen Form – sinnvolle Arbeitsformen blockieren. Speed kritisiert eine Ökonomie, die verlangt, dass Individuen auf Selbstentfaltung verzichten sollen, um kollektiven Reichtum zu mehren. Dem setzt er die Forderung nach selbstbestimmter Arbeit entgegen – als Grundlage einer humaneren und ökologisch nachhaltigen Wirtschaft.

Ein zentrales Konzept, das Speed in diesem Zusammenhang entwickelt, ist der Entfaltungsabstand – ein neues Wohlstandsmaß, das fragt: „Wie viel echte Lebenszeit bleibt nach allem Systemlärm übrig?“ Anders gesagt: Kommt der Fortschritt der Lebensqualität der Menschen zugute oder frisst er ihre Freiheiten auf? Der Entfaltungsabstand bemisst das Verhältnis zwischen dem Aufwand, den eine Person betreiben muss, um einen technischen oder wirtschaftlichen Fortschritt zu nutzen, und dem Mehrwert für ihr Leben, den dieser Fortschritt tatsächlich liefert. Speed schlägt vor, Fortschritt nicht an Wachstumsraten zu messen, sondern daran, ob er die erlebte Freiheit und Selbstentfaltung steigert. So kann z.B. ein neues digitales Tool zwar Effizienz schaffen, aber zugleich den Markt verengen und den Druck auf Individuen erhöhen – was letztlich neue Armut erzeugt. Der kapitalistische Mainstream ignoriert laut Speed diesen Entfaltungsabstand und fordert immer mehr Arbeit und Leistung, ohne die Lebensqualität zu verbessern. Radical Worker plädiert daher für ein radikales Umdenken: Technologischer und wirtschaftlicher Fortschritt muss differenzierter betrachtet werden und soll nur gelten, wenn er wirklich zu umfassenderem Erhalt von Mensch und Ökosystem führt.

Schließlich bietet Radical Worker auch konkrete gesellschaftspolitische Perspektiven: Speed experimentiert mit Ideen wie dem Bedingungslosen Grundeinkommen (BGE) und Commons-Ökonomie (Gemeingüter-Ökonomie). Er wertet die Armen auf, indem er Zwangsarbeit als soziale Isolation entlarvt und aufzeigt, dass viele Beiträge (z.B. informelle Pflege, Ehrenamt, Kreativarbeit) ökonomisch unsichtbar bleiben. Damit greift er die Kritik der Disability und Crip Studies am kapitalistischen Leistungszwang auf: Ähnlich wie Robert McRuer analysiert Speed, wie Menschen, die nicht ins Schema des „vollzeitbeschäftigten Leistungsbürgers“ passen, systematisch marginalisiert werden. Sein praktischer Gegenentwurf – eine selbstbestimmte Arbeitswelt, in der auch Unangepasste ihren Platz haben – fordert eine Neu-Verhandlung gesellschaftlicher Verhältnisse. Er demonstriert, dass scheinbar „Arbeitslose“ durch kreatives, eigeninitiiertes Handeln enorme Werte schaffen können, wenn man sie lässt.

Zusammengefasst ist Radical Worker Speeds Aufruf zur radikalen Umgestaltung der Arbeitsgesellschaft. In Hannah Arendts Sinne rehabilitiert er das Handeln (im Gegensatz zum bloßen Arbeiten im Sinne von Routine): Indem Individuen öffentlich Neues beginnen – z.B. indem Speed sich als Erwerbsloser zum ZDF-Intendanten aufwirft – sprengen sie die Kategorien von Erfolg und Arbeit. Diese Aktionen haben performativen Charakter wie einst die Situationisten: Sie entlarven die Absurdität bestehender Rollen und öffnen Imagination für Alternativen. Speeds Ansatz erinnert auch an Gayatri Spivaks Frage „Can the subaltern speak?“: Als früher „subalterner“ Teilnehmer (arm, neurodivergent) zwingt er Institutionen, seine Stimme und Existenz zur Kenntnis zu nehmen – sei es durch provokante Bewerbungen oder investigative Kunstaktionen. Damit verschafft er marginalisierten Perspektiven Gehör und übt radikale Gesellschaftskritik in der ersten Person.

Speeds Arbeit (2025) – Autobiografie eines Konflikts und Manifest für eine neue Arbeitskultur

„Speeds Arbeit“ ist Speeds neuestes Hauptwerk (veröffentlicht 2025), in dem er seinen jahrelangen Konflikt mit dem deutschen Staat um den Wert und die Definition von Arbeit autobiografisch wie analytisch aufbereitet. Darin entfaltet sich „eine der bedeutendsten und radikalsten Auseinandersetzungen mit dem modernen Arbeitsbegriff und den damit verbundenen Werten“. Speed, der rund 20 Jahre fast ohne Bezahlung arbeitete, verweigerte sich beharrlich der „falschen Logik des kapitalistischen Marktes“ und geriet dadurch mit Behörden und Gerichten aneinander. Der Staat trieb ihn aufgrund seiner Weigerung in die Armut und versuchte, ihn zu disziplinieren, doch Speed nutzte genau diese Situation, um ein grelles Licht auf die Schwachstellen des Systems zu werfen. Mit der für Autist:innen typischen hohen Mustererkennungsfähigkeit deckte er tiefe Missstände in Jobcentern, Ministerien, der Justiz und Konzernen auf. Indem er in zahllosen Eingaben, Klagen und künstlerischen Interventionen seine Selbstbestimmung einforderte, enthüllte er Skandale – von absurden Arbeitsvermittlungsmaßnahmen bis zu willkürlichen Behördenentscheidungen. Speeds unermüdlicher Einsatz und seine kompromisslose Direktheit (ein Merkmal autistischer Kommunikation) brachten Institutionen immer wieder in Verlegenheit, da er an der Bedeutung von sozialer Gerechtigkeit festhielt, wo das System nur Zahlen und Konformität sehen wollte.

Ein Schlüsselbegriff in Speeds Arbeit – und gewissermaßen die Quintessenz seines Arbeitsbegriffs – ist  das „arbeitsintegrierte Beziehungshandeln“. Dieses Konzept fordert, Arbeit als etwas zu verstehen, das in zwischenmenschliche Beziehungen und gesellschaftliche Teilhabe eingebettet ist. Statt Arbeitskraft nur nach ökonomischem Output zu bemessen, verlangt Speed, den sozialen Wert von Arbeit anzuerkennen. Gerade kreative, fürsorgliche, gemeinschaftsstiftende Tätigkeiten, die im heutigen Markt oft unbezahlt bleiben, seien fundamental für eine humane Gesellschaft – dies verteidigt er exemplarisch an seinem eigenen Lebensweg. So steht Speeds Arbeit auch stellvertretend für die Realität vieler marginalisierter Gruppen: Rund 80% der Autist:innen sind erwerbslos oder unterbeschäftigt, nicht weil sie nichts beitragen könnten, sondern weil das System ihren Beitrag nicht in Geld misst. Speed erhebt seine persönliche Geschichte zur Anklage gegen kapitalistische Entmenschlichung und zum Fahrplan für eine neue Arbeitswelt. Sein Buch ist Manifest und Autobiografie zugleich: eine persönliche Reflexion über Entwürdigung und Selbstbehauptung – und ein politisches Programm für soziale Gerechtigkeit.

Stilistisch zeichnet sich Speeds Arbeit durch zugängliche, eindringliche Sprache und schonungslose Ehrlichkeit aus. Speed macht sich in seinem Ringen mit dem Staat angreifbar, was ihm aber auch moralische Autorität verleiht. Diese Authentizität knüpft an existenzialistische Forderungen nach „Authentizität des Subjekts“ an: Wie Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sartre postulierte, dass der Mensch sich nicht in vorgegebene Rollen pressen lassen dürfe, so lehnt auch Speed es ab, sich der erwarteten Rolle des fügsamen Jobcenter-Klienten zu unterwerfen. Stattdessen besteht er darauf, die Arbeit auf eigene Weise sinnstiftend zu definieren. Damit praktiziert er Widerstand durch Subjektivität: Seine gelebte Abweichung wird zur Methode des Protests. In der Kritischen Theorie der Frankfurter Schule galt subjektives Erleben bereits als notwendiges Korrektiv, um Herrschaftsmechanismen aufzudecken. Speed führt dies fort, indem er die Demütigungen und Ungerechtigkeiten, die er subjektiv erfährt, analytisch als Symptome eines defizitären Systems entlarvt. Hier zeigt sich ein Schulterschluss zu Critical Autism Studies, etwa zu Damian Miltons Konzept des „doppelten Empathie-Problems“: Speed dreht den Spieß um, indem er deutlich macht, dass nicht er als Autist das Problem ist, sondern das System, das seine Perspektive nicht versteht. Seine subjektive Perspektive wird zur Erkenntnisquelle über die objektiven Strukturen, die Ausgrenzung produzieren.

Insgesamt liefert Speeds Arbeit einen erschütternden wie inspirierenden Einblick, wie neurodivergente Selbstbehauptung aussehen kann. Es stärkt den Anspruch jedes Individuums auf eine eigene, unverwechselbare Weltsicht und ein Leben jenseits normativer Schablonen. Diese Haltung ist letztlich zutiefst politisch: Sie verweigert die staatliche Disziplinierung und verteidigt das Recht auf kreative Vielfalt. Damit erinnert Speed an Gayatri Spivaks Forderung, die Sprache und das Denken zu dekolonisieren – also die dominanten objektiven Wahrheiten zu hinterfragen. So wie postkoloniale Theoretiker (Said, Spivak) gezeigt haben, dass der Anspruch auf Objektivität oft Machtinteressen dient, nutzt Speed die Waffe der Subjektivität, um das „Einheitsdenken“ von Bürokratie und Wirtschaft aufzubrechen. Speeds Arbeit schließt mit einem hoffnungsvollen Ausblick: Wenn Arbeit im 21. Jahrhundert neu gedacht wird – jenseits von Profitdogma, in Richtung Menschlichkeit –, dann könnten wir eine selbstbestimmte, gerechte Arbeitswelt schaffen. Dieses Buch ist somit eine Einladung, den Kapitalismus nicht nur zu kritisieren, sondern handfest umzubauen– eine Einladung, die Speed selbst bereits gelebt hat.

Stieren des Weltdesigners (Roman, 2014) – Neurodivergente Literatur als Weltentwurf

Mit dem Roman „Stieren des Weltdesigners“ betritt Speed die Bühne der Fiktion, bleibt aber seiner aktivistischen und theoretischen Linie treu. Er bezeichnet dieses Werk explizit als „neurodivergenten Roman“, was sich in Inhalt und Form widerspiegelt. Inhaltlich verarbeitet Speed in diesem literarischen Experiment viele seiner realen Interventionen und Ideen in erzählerischer Gestalt. So schildert er etwa – leicht verfremdet – eine Gruppe von Individualist:innen, die zur Konzernzentrale von Red Bull reisen, um dort „selbst zur Krise zu werden“ und ihre Integrität in einer kommerzialisierten Welt zu bewahren. Diese fiktionalisierte Episode hat einen direkten realen Bezug: Tatsächlich hat Speed in seinen Aktionen einmal angedroht, vor der Red-Bull-Zentrale einen Stier zu töten, um einen Konzern im Sinne der Menschheit zu übernehmen. Im Roman wird daraus ein subversiver Plot, in dem die Protagonist:innen sich den entfesselten Kräften des „Weltdesigners“ – sinnbildlich für diejenigen, die unsere globale Realität gestalten wollen – entgegenstellen. Die „Stiere“ des Weltdesigners stehen hier symbolisch sowohl für die Opfer als auch für die notwendigen Störer des Systems.

Formal bricht Stieren des Weltdesigners mit konventionellen Erzählweisen. Speed verbindet dokumentarische Elemente, philosophische Dialoge und surreale Passagen zu einer Art avantgardistischem Montage-Roman. Damit stellt er traditionelle Vorstellungen von Literatur und Kunst infrage. Der Text wechselt u.a. die Perspektiven und Schreibstile, spiegelt also die Vielstimmigkeit einer neurodivergenten Wahrnehmung. Dieser literarische Stil erinnert an die experimentellen Techniken des Dadaismus oder der Beat-Generation, welche ebenfalls gegen lineare, angepasste Narrative rebellierten. Speeds Literatur bricht „klassische Formate und Zuschreibungen“ auf – ähnlich wie z.B. Kathy Ackers postmoderne Romane oder Paul B. Preciados autofiktionale Essays, die Genres sprengen. Durch diese formale Freiheit lebt Speed vor, wie das Individuum durch authentische Verantwortung starre Strukturen aufbrechen kann: Seine Charaktere handeln unangepasst, persönlich und radikal – und genau darin liegt der utopische Keim für neue Ordnungen.

Stieren des Weltdesigners kann als literarische Verdichtung von Speeds Theorien gelesen werden. Der Roman personifiziert abstrakte Konzepte: So wird etwa die „Krise“ zu einer aktiven Figur (die die Protagonist:innen verkörpern), und die Idee des „Rechts auf Krise“ taucht implizit auf. Speed postuliert nämlich, dass Individuen und Gesellschaft ein Recht auf Krisen haben – im Sinne von kreativen Umbrüchen, die notwendig sind, um starre Systeme in Bewegung zu bringen. Die Figuren im Roman üben dieses Recht aus, indem sie bewusst Störungen verursachen. Das Geschehen spielt in einer Welt, die unserer realen sehr ähnlich ist, jedoch in zugespitzter Form die Effekte von entfesseltem Kapitalismus, Medienmanipulation und staatlicher Kontrolle zeigt. Es werden Themen wie Hartz IV, Faschismus, die Europäische Union, oder reale Persönlichkeiten (z.B. Milliardärin Johanna Quandt oder Ex-Banker Josef Ackermann) angedeutet – dies verankert die Satire fest in unserer Zeit. Gleichzeitig öffnet Speed aber auch imaginative Räume: Ein wiederkehrendes Motiv ist die „Weltgestaltung“ – die Frage also, wie die Welt entworfen werden soll, und wer das Sagen darüber hat. Im Roman wird deutlich, dass diese Frage nicht objektiv-technokratisch beantwortet werden kann, sondern demokratisiert werden muss – und zwar unter Einbeziehung der Perspektiven der Betroffenen. Hier schwingt Donna Haraways Forderung nach vielstimmigen Zukünften mit, ebenso wie Hartmut Rosas Idee, dass es Resonanzbeziehungen (Stimmen der Einzelnen) braucht, um der stummen Beschleunigungslogik etwas entgegenzusetzen.

Die Besonderheit von Stieren des Weltdesigners liegt darin, dass Speed seine Theorien einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich macht, ohne an intellektueller Schärfe einzubüßen. Der Roman provoziert und fordert die Lesenden heraus: Er hinterfragt Machtstrukturen und ruft zu individueller Ausdruckskraft auf, „gegen die Normen des Systems zu leben“. Damit steht er in der Tradition engagierter Avantgarde-Literatur (erinnert sei an Bret Easton Ellis’ beißende Kapitalismuskritik oder Kathy Ackers Dekonstruktion sozialer Narrative). Speeds Werk kann als radikal und herausfordernd gelten, weil es – wie seine Aktionen – Gegenreaktionen provoziert und Konfrontation nicht scheut. Gerade in einer Zeit, „in der Individualismus von Angst verdrängt wird und ein übertriebenes Sicherheitsbedürfnis kreative Potenziale verhindert“, hält Speed mit diesem Roman ein leidenschaftliches Plädoyer für kreative Unangepasstheit. Seine Literatur „konfrontiert Konzerne und Regierungen mit der ganzen Persönlichkeit des unangepassten Individuums“ – auf literarischer Ebene das, was er in der Realität ebenso tut. So fügt sich Stieren des Weltdesigners harmonisch ins Gesamtwerk ein: als fiktionaler Spiegel von Speeds gelebter Philosophie.

Zentrale Theorien und Begriffe

Speeds Werk hat im Laufe der Zeit einen eigenen theoretischen Kosmos hervorgebracht, der von teils ungewöhnlichen Neologismen geprägt ist. Im Folgenden werden einige der wichtigsten Theorien und Begriffe erläutert, die für sein Denken zentral sind:

  • Minimal-Nicht-Objekt (MNO): Dieses Konzept bildet das Fundament von Speeds Ontologie. Das MNO bezeichnet eine minimale Abweichung von der Realität, die keinem Objekt zugeschrieben werden kann, aber dennoch real ist – gewissermaßen die Leerstelle im Gefüge der Welt, aus der heraus Bindungen und Strukturen erst möglich werden. Speed versteht das MNO als philosophisch-physikalisches Prinzip, das nicht-lokale Phänomene und vernetzte Ganzheiten beschreibt. In der Physik trägt das MNO zur Beschreibung paradoxer Zustände bei, jenseits klassischer Raumzeit-Beziehungen – kein gefundenes Teilchen (etwa am CERN) ist das MNO selbst, sondern immer nur eine Repräsentanz davon. In Gesellschaft, Politik, Psychologie impliziert das MNO, dass Wirklichkeit und Wahrnehmung sich verändern, sobald das Nicht-Objekthafte einbezogen wird. Herkömmliche Abhängigkeitsstrukturen werden dadurch untergraben: Paradoxien – Dinge, die zugleich wahr und nicht objektiv fassbar sind – werden erlaubt, ja als Voraussetzung echter Humanität betrachtet. Mit MNO schafft Speed also einen theoretischen Raum, um Zwischenräume und Widersprüche fruchtbar zu denken. Epistemologisch fordert das MNO-Modell uns auf, die Beschaffenheit der Realität neu zu konzipieren und anzuerkennen, dass jede objektive Ordnung auf einem unverfügbaren „Nichts“ ruht. Das führt zu einem alternativen Verständnis von Freiheit: Freiheit bedeutet hier nicht absolute Unabhängigkeit, sondern entsteht gerade in der Lücke, im Nicht-Festgelegten. Speeds MNO-Theorie lehnt damit jeglichen ontologischen Totalitarismus ab – sie lässt das Offene offen und erhebt dies zum Prinzip. Anknüpfungspunkte bieten postmoderne Ontologien (z.B. Badiou mit dem Ereignis im Nichts) oder auch Quantenphilosophien, die das Vakuum nicht als Leere, sondern als Brodeln von Möglichkeiten sehen.

  • Alles-Nichts-Paradoxon (ANP): Eng verknüpft mit dem MNO ist das Alles-Nichts-Paradoxon. Es besagt, dass das Sein der Welt untrennbar mit dem Nicht-Sein verwoben ist. Speed formuliert es prägnant so: „Die Welt lässt sich nicht als Objekt konstruieren, weil es etwas gibt, was schlicht kein Objekt ist – und dieses Nicht-Objekt ermöglicht erst die Beziehung zwischen den Objekten.“ Mit anderen Worten: Ohne das „Nichts“ kein „Alles“. Dieses Paradox stellt die traditionelle Metaphysik auf den Kopf, die oft Sein und Nichts getrennt oder Letzteres als Mangel auffasst. Bei Speed hingegen ist das Nichts ein produktiver Spalt, ein schöpferischer Zwischenraum. Das ANP spiegelt sich in vielen Facetten von Speeds Denken: in der Bewusstseinstheorie (Qualia entstehen aus der Leere), in der Sozialtheorie (Differenz ermöglicht Gemeinschaft) und selbst in seiner Ästhetik (das Unsagbare wird Teil der Kunst). Philosophisch erinnert das ANP an Lukrez’ Idee des clinamen (dem minimalen Abweichen im Atomstrom, das Neues erzeugt) oder an Jacques Derridas différance, die durch Abwesenheit Bedeutung schafft. Speeds Beitrag liegt darin, dieses Paradox als grundlegendes Denkprinzip fruchtbar zu machen: Indem er Nichts und Alles zusammendenkt, entwirft er ein integratives Modell, das Extrempole verbindet, statt sie auszuschließen. So integriert er z.B. widersprüchliche Bewusstseinstheorien in eine größere Gesamtlogik – eine philosophische Systemkreativität, die das Entweder-Oder überwindet.

  • Systemkreativität: Dieser Begriff beschreibt Speeds Vision von lebendigen, kreativen Systemen in Gesellschaft und Natur. Während herkömmliche Systeme auf Stabilität durch Fixierung setzen, meint Systemkreativität die Fähigkeit eines Systems, sich aus sich selbst heraus oder durch externe Impulse zu verändern und zu erneuern. In Gesellschaft ohne Vertrauen betont Speed, dass soziale Systeme dann lebendig sind, wenn sie Diversität zulassen und offene Prozesse bleiben. Systemkreativität liegt also vor, wenn kein endgültiger Gleichgewichtszustand erreicht wird, sondern fortwährende Entwicklung möglich bleibt – analog zur Fähigkeit eines Ökosystems, im Gleichgewicht zu bleiben, indem es sich dynamisch anpasst. Dieses Konzept knüpft an kybernetische Ideen von Selbstorganisation an (man denke an Varelas und Maturanas Autopoiesis) und an die Kulturtheorie eines Hartmut Rosa, der „lebendige“ Gesellschaften durch Resonanzbeziehungen gekennzeichnet sieht. Speed konkretisiert Systemkreativität beispielsweise in der Wirtschaft: Eine Ökonomie mit hoher Systemkreativität würde Vielfalt, Abweichung und ökologische Integration fördern, statt alles zu standardisieren. Ein unkreatives System hingegen strebt Monokulturen an – Speed nennt als Beispiel den Monopolismus in der Wirtschaft, der Vielfalt abwürgt. Interessanterweise verbindet Speed das Konzept auch mit Wertediskussionen: Ein kreatives System müsste die Primärökonomie (alle unsichtbaren Beiträge, zwischenmenschliche Prozesse etc.) anerkennen und nicht nur auf den Output der Sekundärökonomie (Markt) schauen. So gesehen, ist Systemkreativität auch ein ethischer Imperativ: Systeme sollen den Menschen dienen, indem sie Raum für Entfaltung lassen, statt Menschen an die Anforderungen der Systeme anzupassen. Im Kern fordert Speed damit eine Abkehr vom mechanistischen Denken: Nicht nur Planbarkeit und Kontrolle, sondern auch Spontaneität und Beziehung sollen Systeme prägen – eine Forderung, die quer zu technokratischen „Solutionisten“ (im Sinne Morozovs) steht und eher an Donna Haraways Plädoyer erinnert, mit der Ungewissheit („Staying with the Trouble“) zu leben.

  • Arbeitsintegriertes Beziehungshandeln: Dieser Begriff prägt insbesondere Speeds Arbeit als Vision für die Zukunft der Arbeit. Er steht für eine Arbeitsform, die zwischenmenschliche Beziehungen, Empathie und Zusammenarbeit ins Zentrum rückt. In Abgrenzung zur anonymen, fragmentierten Arbeitswelt des Kapitalismus (wo oft das „Human Resource“ austauschbar sein soll), betont Speed, dass Arbeit immer eingebettet ist – in soziale Zusammenhänge, in Gemeinschaft und letztlich in Sinnfragen. Arbeitsintegriertes Beziehungshandeln verlangt, dass Arbeitsprozesse humanisiert werden: Das bedeutet Wertschätzung von Care-Arbeit, kollegialer Solidarität, emotionaler Intelligenz im Arbeitskontext, und zwar als gleichwertig oder sogar übergeordnet gegenüber quantitativer Produktivität. Im Grunde fordert Speed damit eine Neudefinition von Arbeit als sozialem Handeln. Hier lassen sich Parallelen zu Hannah Arendts Unterscheidung von Arbeit vs. Handeln ziehen: Arendt sah im „Herstellen“ (work) oft eine Weltentfremdung, während im politischen „Handeln“ echte Beziehung und Neuheit liegt. Speed integriert das „Beziehungshandeln“ direkt in die Arbeit – er möchte, dass auch in Unternehmen und Organisationen zwischenmenschliche Interaktion und Sorge füreinander Leitwerte werden, nicht nur Effizienz. Das ist zugleich eine Forderung nach Demokratisierung der Arbeitswelt: Wenn Arbeit Beziehung ist, müssen Arbeitende Mitspracherecht haben, Macht soll verteilt sein, und persönliche Bedürfnisse zählen. Dieses Konzept schließt an Ideen der New Work-Bewegung an, geht aber durch Speeds radikale Haltung noch weiter: Es legitimiert auch Arbeitsverweigerung, wo Beziehungen verarmen. So argumentiert Speed, dass Widerstand gegen „maschinenhaftes Funktionieren in den Jobs“ notwendig ist, um Menschlichkeit zu bewahren. Damit aktualisiert er im Kontext KI/Automation das Motto der 68er („Unter dem Pflaster liegt der Strand“) in Richtung „Unter dem Algorithmus liegt der Mensch“. Arbeitsintegriertes Beziehungshandeln kann als Gegenentwurf zur kalt-rationalen Taylorisierung gesehen werden – es fordert ein Arbeitsleben, das wieder Teil des echten Lebens ist, nicht dessen Aussetzung.

Diese Auswahl an Konzepten – MNO, Alles-Nichts-Paradoxon, Systemkreativität, Entfaltungsabstand, arbeitsintegriertes Beziehungshandeln – zeigt die Breite von Speeds Theoriegebäude. Bemerkenswert ist, dass alle diese Begriffe an der Schnittstelle von Individuum und System operieren. Es geht stets darum, wie persönliche Erfahrung, subjektive Freiheit und kreative Abweichung in starre Strukturen einsickern und sie transformieren können. Speed liefert damit ein Vokabular, um über Veränderung in komplexen Systemen nachzudenken – seien es physikalische Theorien, gesellschaftliche Institutionen oder wirtschaftliche Abläufe.

Methodologie, Sprache und epistemologische Position

Timothy Speeds Ansatz ist in mehrfacher Hinsicht unkonventionell: Er verbindet neurodivergente Wahrnehmung, verkörperte Erkenntnis und autoethnografische Reflexion zu einer Methodologie, die sich von klassisch akademischen Vorgehensweisen deutlich unterscheidet. Diese besondere Herangehensweise verdient eine eigene Betrachtung.

Neurodivergente Epistemologie: Speed hat erst spät in seinem Leben erfahren, dass er Autist ist. Diese Selbsterkenntnis floss jedoch rückwirkend in sein gesamtes Werk ein. Anstatt seine Autismus-Diagnose als Defizit zu betrachten, macht er sie zur Stärke seiner Forschungsperspektive. Er betont die Bedeutung subjektiver Erfahrungen als Wissensquelle: „Subjektivität spielt in Speeds Gesamtwerk eine zentrale Rolle und wird zum Ausgangspunkt seiner Kritik“. Sein persönliches Erleben von Ausgrenzung, Armut und staatlicher Kontrolle bildet die Phänomene, aus denen er allgemeine Zusammenhänge ableitet. Diese Methode erinnert an die Phänomenologie, die Edmund Husserl oder Maurice Merleau-Ponty propagierten: Weltverstehen durch dichte Beschreibung des Erlebens. Gleichzeitig verortet sich Speed damit in der Tradition der Kritischen Theorie: Wie Adorno/Horkheimer hält er die vermeintlich „objektive“ Wissenschaft für unzureichend, weil sie die Sicht der Betroffenen ausblendet. Speed demonstriert dagegen, „wie sehr das subjektive Erleben von Unterdrückung eine Quelle der Erkenntnis über die Strukturen sein kann, die diese Unterdrückung produzieren“. Diese Einsicht deckt sich mit neueren Ansätzen in den Disability Studies: Rosemarie Garland-Thomson oder Robert McRuer argumentieren ebenfalls, dass die Erfahrung von Behinderung/Marginalität systemische Wahrheiten enthüllt, die den Privilegierten verborgen bleiben. Damian Miltons „Double Empathy Problem“ wiederum legt nahe, dass autistische und neurotypische Menschen sich wechselseitig nur unzureichend verstehen. Speed überbrückt dieses Empathie-Gefälle, indem er die autistische Perspektive offenlegt und damit zur Übersetzung zwischen den Welten beiträgt. Seine autistische Direktheit, Monotropismus (Fokus auf Einzelaspekte) und Regelklarheit werden in seinem Schreiben zur analytischen Schärfe, die institutionelle Fassaden durchdringt. Was die neurotypische Mehrheitsgesellschaft als „abweichend“ empfindet – z.B. Speeds unerbittliches Beharren auf Logik und Gerechtigkeit in Behördenangelegenheiten – entpuppt sich bei ihm als notwendiger Störfaktor, um verkrustete Machtstrukturen sichtbar zu machen. Kurzum: Speed praktiziert eine neurodivergente Wissenskritik, in der gerade das Fremde, Andere der Wahrnehmung zur Erkenntnisquelle wird. Damit steht er auch den Critical Autism Studies nahe, die fordern, autistische Stimmen als eigenständige Wissensproduzenten ernst zu nehmen.

Embodied Cognition / Verkörperung: Eng verbunden mit der subjektiven Methode ist Speeds verkörperter Ansatz. Er forscht nicht nur über soziale Systeme – er steckt mitten in ihnen. Seine eigenen Körper- und Lebenserfahrungen sind integraler Bestandteil der Erkenntnisgewinnung. Beispielsweise hat Speed die Härten von Hartz IV selbst erfahren, jahrelang in prekären Verhältnissen gelebt und darunter etwa gesundheitliche Auswirkungen gespürt. Diese Erfahrung von Verletzlichkeit fließt in seine Theorien über Care und Arbeit ein. In Aktionen wie dem heimlichen Arbeiten im Großbetrieb bringt Speed buchstäblich seinen Körper ins Feld, um Wissen zu generieren. Dieser Autoethnografie-Ansatz unterscheidet ihn von vielen traditionellen Forschenden, die oft eine Beobachterrolle einnehmen. Speed „lebt Themen subjektiv aus und macht sich angreifbar, um den Blick für das Neue zu schärfen“. Hier zeigt sich eine Parallele zu Paul B. Preciado, der in Testo Junkie seinen eigenen Körper zum Versuchsfeld für Theorie machte (Testosteron-Selbstversuch als Erkenntnisprozess). Auch Speed nutzt den eigenen Leib als Medium –  um zu verstehen, was Entfremdung bedeutet, oder indem er auf Bühnen auftritt, um das Unbehagen mit dem System körperlich spürbar zu machen. Sein Zugang könnte als neurodivergente Embodied Cognition bezeichnet werden: Er vereint die enaktivistische Idee (à la Varela), dass Kognition nur im Zusammenspiel von Körper und Umwelt verstanden werden kann, mit der spezifischen Intensität autistischen Erlebens. So schildert Speed etwa sensorische und emotionale Details (Lärmpegel in Ämtern, Stressreaktionen) in seinen Schriften, um allgemeine Aussagen über die Entmenschlichung moderner Institutionen zu treffen. Diese Verkörperung von Theorie führt dazu, dass Speeds Sprache oft plastisch und direkt ist, statt abstrakt. Er spricht in Bildern und persönlichen Anekdoten, wo andere vielleicht Diagramme zeichnen würden. Das macht seine Texte zugänglich, aber auch eigenwillig im akademischen Kontext.

Sprache und Stil: Speeds Sprache ist eine Mischung aus präziser Analyse und poetischer Verfremdung. Er schreckt nicht davor zurück, neue Begriffe zu prägen (wie die zuvor erläuterten Konzepte), wenn die vorhandene Sprache seine Erfahrungen nicht treffend beschreibt. Diese Neologismen wirken teils technisch (Submergenz-Triade), teils metaphorisch (Realitätenauge, Recht auf Krise). Auffällig ist sein Wechsel zwischen einem nüchternen, logisch argumentierenden Ton und plötzlichen lyrischen Passagen oder drastischen Bildern. Beispielsweise nennt er die neoliberalen Arbeitszwänge eine „lügende Werbung“ und hat keine Scheu, in Vorträgen eine ganze Branche zu vergraulen, indem er ungewohnt scharf formuliert. Sein Stil erinnert mitunter an die Avantgarde-Literatur – etwa wenn er in Stieren des Weltdesigners narrative Konventionen bricht und subjektive Intensität über klare Handlung stellt. Er folgt damit einem Grundsatz: Authentizität vor Anpassung. Speed schreibt, wie er ist – manchmal sprunghaft, dann wieder obsessiv genau – und genau darin liegt methodisch eine Stärke. Denn diese authentische Sprache verweigert sich der standardisierten Bürokratie- und Akademikersprache, die er als Teil des Problems sieht. Stattdessen fordert er eine „Rückgewinnung der eigenen Stimme“. In Speeds Stil kann man Einflüsse von philosophischer Literatur wie Jean-Paul Sartres oder Franz Kafkas spüren (die subjektive Zumutung der Bürokratie schildern), aber auch von kritischen Essayisten wie David Graeber (etwa wenn es um Bullshit-Jobs geht). Seine Texte besitzen eine performative Dimension: Oft liest man zwischen den Zeilen den Aufruf zur Tat. Beispielsweise endet Radical Worker mit einer direkten Einladung an alle Arbeitenden, den Kapitalismus handfest umzubauen – hier wird die Grenze zwischen Text und Manifest fließend.

Autoethnografie und Reflexivität: Speed reflektiert ständig seine eigene Position im Forschungsprozess. Anstatt den Anspruch objektiver Distanz zu erheben, legt er offen, wo er herkommt: „aus dem Autismus, aus der Armut, aus dem Außen“. Diese Metaperspektive durchzieht sein Werk. In Über die autistische Intersubjektivität in meiner Kunst und Sprache – einem meta-reflexiven Essay – wird deutlich, wie bewusst Speed diese Haltung einnimmt. Dort heißt es, Speeds Subjektivität sei „nicht nur persönliches Stilmittel, sondern bewusste theoretische und politische Positionierung“, die sich gegen Vereinheitlichung und Objektivierung richtet. Er macht also transparent: Sein Ich ist Instrument und Teil des Ergebnisses zugleich. Diese reflexive Methodik entspricht den Ansprüchen moderner Qualitativer Forschung (z.B. Grounded Theory mit Memos, Positionierungen etc.), wird bei ihm jedoch radikal zugespitzt. Speed scheut auch nicht vor Schwächeeingeständnissen zurück. Wo klassische Forscher ihre Unsicherheit kaschieren, thematisiert er sie kreativ – etwa im „Recht auf Krise“, das auch bedeutet, Fehler, Zweifel und persönliche Krisen als produktiv anzusehen. So wendet er in eigener Person an, was Donna Haraway als „situiertes Wissen“ forderte: Er gibt keine vorgeblich universalen Wahrheiten aus, sondern markiert Wissen als standortgebunden (hier: Standpunkt des neurodivergenten Künstlers). Auch Gayatri Spivaks Hinweis, dass Sprache und Denken dekolonisiert werden müssen, findet Entsprechung: Speed verlässt die Kolonialsprache der Verwaltungsakte und schreibt in einer hybriden, teils literarischen Sprache gegen die Herrschaftslogik an.

Zusammenfassend besteht Speeds Methodologie in einem mutigen Spagat: Er vereint Phänomenologie (Erlebniszentrierung), kritische Gesellschaftsanalyse (Macht- und Ideologiekritik) und Artistic Research (künstlerische Praxis als Erkenntnismittel) unter dem Dach einer zutiefst persönlichen Forschungsreise. Diese Herangehensweise wird in wissenschaftlichen Kontexten nicht immer vorbehaltlos akzeptiert – Speed bricht bewusst mit der „akademischen Gewohnheit“. Doch genau darin, so argumentiert er, liegt das Potential für Neues. Sein Ansatz ist dezentrierend: Er dezentriert den Blick weg vom Althergebrachten (sei es neurotypische Norm, kapitalistischer Common Sense oder akademische Distanz) hin zu den Rändern. Diese Randposition erhebt er zur Meta-Perspektive – vergleichbar mit Donna Haraways metaphorischem „Coyote“ oder bell hooks’ Idee vom margin as a site of resistance. Indem Speed mit einem Bein innerhalb des Systems agiert (z.B. durch Publikationen, öffentliche Vorträge) und mit dem anderen draußen steht (als Außenseiter, der nicht institutionalisiert ist), erzeugt er einen intermediären Erkenntnisstandpunkt. Dies verleiht seinem Werk aus epistemologischer Sicht einen ausgesprochen transdisziplinären Charakter: Es ist weder rein wissenschaftlich, noch rein künstlerisch, noch bloß autobiografisch – sondern alles zusammen, in fruchtbarer Spannung.

Interdisziplinäre Verortung: Schnittstellen und Dialoge

Timothy Speeds Schaffen entzieht sich einfachen fachlichen Zuordnungen. Vielmehr bewegt er sich an den Schnittstellen verschiedener Disziplinen und Denkrichtungen. Im Folgenden wird sein Beitrag im interdisziplinären Spektrum verortet, wobei sowohl Unterschiede als auch Anknüpfungspunkte zu etablierteren Theorien deutlich werden.

Artistic Research und Avantgarde-Kunst: Speed ist in erster Linie Künstler – seine gesamte Theorie entsteht aus künstlerischer Praxis. In der internationalen Artistic Research-Debatte liefert er ein paradigmatisches Beispiel dafür, wie künstlerische Prozesse Wissen generieren können. Während Artistic Research oft an Hochschulen institutionalisiert wird, verkörpert Speed eine radikale Graswurzel-Variante: Er forscht buchstäblich auf der Straße, im Betrieb, im Amt. Damit knüpft er an historische Avantgarden an, insbesondere den Situationismus der 1960er (Guy Debord und Co.), welche Aktionen im Stadtraum als Kritik an Spektakel und Kapitalismus inszenierten. Speeds Aktionen – z.B. die subversive Bewerbung als TV-Intendant – stehen in dieser Tradition: Sie sind Situationen, die etablierte Bedeutungen entgleisen lassen. Anders als viele Avantgardisten, die oft anti-akademisch waren, verbindet Speed jedoch die Praxis mit elaborierter Theorie. Hier öffnet sich ein Dialog zu Donna Haraway: Wie Haraway in „Situated Knowledges“ die Wissenschaft neu denken wollte, von Randpositionen aus, so entwickelt Speed eine situierte Kunst-Wissenschaft. In der Kunsttheorie stellt sein Werk auch Fragen nach Authentizität und Partizipation: Er bricht die Grenze Künstler/Publikum, indem er das Publikum (Gesellschaft) in seine Feldversuche involviert. Das erinnert an Sozialplastik-Konzepte (Joseph Beuys’ „Jeder Mensch ein Künstler“), erhält bei Speed aber eine konfrontative Note – eher Aktionskunst als einvernehmliche Sozialkunst. Zudem greift er Themen wie Medienkritik auf (seine frühe Schrift Verdammt sexy – Mediengestalter in der Krise 2001, wo er Werbung scharf angriff). Damit kann Speed als ein zeitgenössischer Gesellschaftskritiker-Künstler gesehen werden, vergleichbar vielleicht mit Hito Steyerl (die Kunst und Theorie mischt, um den Neoliberalismus zu dekonstruieren). Seine Literatur erinnert an autofiktionale Ansätze (von Chris Kraus bis Preciado), die persönliche Narrative mit Theoriebildung verweben. Anders als viele davon, schreibt Speed allerdings auf Deutsch und im Kontext der europäischen Sozialstaatskritik – eine Nische, die er nahezu allein besetzt.

Critical Autism Studies und Disability Studies: Speed liefert mit seinen Selbstzeugnissen und Konzepten einen wichtigen Beitrag zur Kritik des ableistischen Systems. In den Critical Autism Studies wird gefordert, Autist:innen nicht nur als Forschungsobjekte, sondern als wissenschaffende Subjekte anzuerkennen. Speeds Werk erfüllt genau das: Es ist Theorie aus autistischer Perspektive. Dabei geht er über Identitätspolitik hinaus – er fordert nicht nur Akzeptanz für Autismus, sondern zeigt, was die Gesamtgesellschaft aus autistischer Sicht lernen kann. Zum Beispiel impliziert sein Konzept der Radikalen Beziehungsfähigkeit (wie er es lebt, indem er ehrlich und unverstellt auf Andere zugeht), dass gewisse autistische Eigenschaften gerade nicht defizitär, sondern kulturell wertvoll sind. Dies unterstützt Theorien wie Damian Miltons Double Empathy oder Luke Beardon’s Ansätze, die autistische Kommunikation als andersartig, aber valide beschreiben. Speed demonstriert in der Praxis, dass autistische Menschen oft systemtreuer in Sachen Prinzipien sind als das System selbst – er nahm den Verfassungsgrundsatz der Menschenwürde ernster als die Bürokratie, was ihn in Konflikt brachte. Hier liefert Speed Diskussionsstoff für Ethik und Rechtssoziologie: Ist ziviler Ungehorsam eines Autisten anders zu bewerten, da er einem inneren Regelkompass folgt, den die Mehrheit verdrängt? Solche Fragen wirft sein Fall implizit auf. In den Disability Studies gibt es das Konzept der Cripistemology (Carrie Sandahl u.a.), das besagt, dass aus Behinderung eigenes Wissen erwächst. Speeds Theorien – ob Bewusstsein aus der Lücke oder Primärökonomie – sind Beispiele für Cripistemologie: Er nutzt die Außenseiterposition (als „behindert“ Geltender in der Erwerbswelt) für neue Einsichten ins Funktionieren von Arbeit und Wert. Auch Robert McRuers Kritik am Zusammenspiel von Kapitalismus und Ableismus (Stichwort compulsory able-bodiedness) spiegelt sich: Speed entlarvt, wie das System unflexibel auf Abweichungen reagiert und lieber Menschen arm sein lässt, als das Arbeitsmodell zu ändern. Gleichzeitig eröffnet er, im Sinne von McRuers Crip Utopia, utopische Ideen für eine inklusivere Wirtschaft (z.B. Selbstaufwertung der „Unproduktiven“, Commons-Ökonomie). Somit kann Speeds Werk als praktischer Beitrag zur Inklusionsforschung gelesen werden: Es liefert Extrembeispiele und Begriffe, die das Verhältnis von Gesellschaft und neurodivergenten Individuen neu definieren.

Philosophie des Geistes und Bewusstseinsforschung: Ungewöhnlich für einen Aktivisten ist Speeds ernstzunehmender Beitrag zur theoretischen Bewusstseinsdebatte. Sein MNO-Modell und die Physik der Armen sind ein interdisziplinärer Entwurf zwischen Physik, Philosophie und Kognitionswissenschaft. Hier bietet sich ein Vergleich mit Ansätzen wie Thomas Nagels berühmter Frage „How is it like to be a bat?“ oder neueren panpsychistischen Theorien an: Speed geht ähnlich vom Erleben aus, aber er setzt das Nichts als konstitutiv. Das erinnert an buddhistische Philosophie, speziell an Nagarjunas Leerheit, aber Speed verknüpft es mit zeitgenössischer Wissenschaft (IIT, etc.). Insofern liefert er möglicherweise einen Integrationsvorschlag für konkurrierende Modelle: Er will IIT, Global Workspace und andere „integrieren und transzendieren“ – ein Unterfangen, das sonst kaum jemand wagt. Das dürfte auch Widerspruch ernten; in der etablierten Bewusstseinsforschung fehlt Speeds Arbeiten sicherlich noch die Rezeption. Aber sein Mut, als Außenseiter hier mitzumischen, ist bemerkenswert. Er zeigt eine Nähe zu enaktiven und phänomenologischen Theorien (Varela, Thompson), indem er Bewusstsein als emergent im Verhältnis Subjekt-Welt begreift (Entscheidung in der Lücke). Gleichzeitig hat er den Gestus einer Grand Theory – etwas, das in der fragmentierten akademischen Landschaft selten geworden ist. Man mag parallelen Enthusiasmus bei Ken Wilbers integraler Theorie finden, jedoch ist Speed weniger esoterisch und stärker empirisch fundiert (seine Armutserfahrung als „Experiment“). Interessant ist auch die politische Wendung der Bewusstseinstheorie: Indem Speed Subjektivität rehabilitiert, greift er Foucaults Analysen von „Bio-Macht“ an. Foucault beschrieb, wie moderne Macht Individualität formatiert; Speed zeigt, wie radikale Individualität (Autonomie, Anderssein) wiederum zur Gegen-Macht werden kann, indem sie Bewusstsein dem Zugriff entzieht. In einer Welt von KI und Data-Mining könnte Speeds Idee der Entscheidung in der Lücke ein philosophischer Anker sein, um menschliche Bewusstheit als nicht vollständig quantifizierbar zu behaupten – ähnlich wie Hannah Arendt das Neubeginnen als menschliche Fähigkeit verteidigte.

Care-Theorie und Sozialphilosophie: Speeds Betonung von Care-Arbeit, Beziehungen und sozialer Gerechtigkeit bringt ihn auch in Nähe zur Ethik der Fürsorge (Joan Tronto, Carol Gilligan) und zu zeitgenössischer Sozialphilosophie (Axel Honneth, Hartmut Rosa). Sein Begriff der Radikalen Beziehungsfähigkeit (implizit in vielen Texten) fordert, Abweichung und Verletzlichkeit nicht als störend, sondern als integrativ für Gemeinschaft zu sehen. Das resoniert mit Hartmut Rosas Forderung nach Resonanz: Speed könnte man sagen, fordert Resonanz mit dem „Anderen“ und Unverfügbaren (sein Realitätenauge-Konzept zielt darauf, „die Vielfalt der Realitäten anzuerkennen“. Gleichzeitig ist er scharf in der Kritik der entfremdeten Arbeit, was an Marx erinnert, aber auch an neuere Wachstumskritik (wie André Gorz oder Kate Raworths Donut-Ökonomie, die Lebensqualität vor Profit stellt). Seine Primärökonomie vs. Sekundärökonomie-Unterscheidung ähnelt der feministischen Ökonomie, die den unsichtbaren Unterbau (Hausarbeit, Pflege, Ökosystemleistungen) betont. Speed geht hier jedoch aktiv ins Gefecht: Er konfrontiert konkrete Personen der Macht (Ackermann, Liz Mohn, Quandt – wie aus seinen Aktionen hervorgeht – mit diesen moralischen Fragen. Darin ähnelt er Michel Foucaults Haltung des specific intellectual, der punktuell Widerstand leistet, aber Speed ist auch universal intellectual im Sartreschen Sinne, indem er Gesamtentwürfe liefert. In der radikalen Gesellschaftskritik kann man ihn irgendwo zwischen Foucault, Ivan Illich und Noam Chomsky ansiedeln: Wie Foucault deckt er Mikromechanismen der Macht auf (etwa in Ämtern), wie Illich denkt er Institutionen von Grund auf um (Arbeit, Bildung etc.), und wie Chomsky hat er keine Scheu, Missstände direkt anzuprangern (z.B. Lügen der Werbung, politische Heuchelei). Dennoch unterscheidet ihn von diesen, dass er nicht primär als Intellektueller von außen schreibt, sondern immer als involvierter Akteur. Das ist eher vergleichbar mit Aktivist-Theoretikern wie Andrea Dworkin im Feminismus (die eigene Betroffenheit in Theorie goss) oder bell hooks, die persönliche Erzählungen in Gesellschaftsanalyse einbettete. Speeds Bezug auf Spivak im Kontext der Sprache zeigt, dass er sich auch als postkolonialer Denker versteht – übertragen auf das „Koloniale“ von Verwaltung und Kapital über den Menschen.

Zusammenfassend lässt sich Speeds Werk als interdisziplinäres Grenzgebiet beschreiben: Es vereint Soziologie (Armut, Arbeit, Institutionen), Philosophie (Ontologie, Erkenntnistheorie, Ethik), Kunst (Performance, Literatur), Psychologie/Neurowissenschaft (Bewusstsein, Wahrnehmung) und Politische Theorie (Kritik an Staat und Ökonomie). Dabei nutzt er mal die Sprache der Wissenschaft, mal die der Kunst, was eine Herausforderung für traditionelle Disziplinen darstellt. Dennoch schafft er Anschlussmöglichkeiten: Seine Theorien könnten etwa in der Sozialforschung getestet oder weitergeführt werden (z.B. Anwendung des Entfaltungsabstands in Studien zu Lebensqualität). In der Philosophie könnten seine Ontologie-Überlegungen mit Diskussionen um Panpsychismus, idealistische Trends oder Theorien der Subjektivität (wie bei Thomas Metzinger oder Markus Gabriel) in Dialog treten – auch wenn Speed hier als Außenseiter auftritt, könnten seine originellen Begriffe neue Denkanstöße geben. Für die Disability Studies liefert er qualitative Daten und Narrative, die Theorien empirisch untermauern (etwa zu Arbeitsdiskriminierung). Und in der Kunstwissenschaft dient er als Case Study für gelebte künstlerische Forschung und Ästhetik des Widerstands.

Fazit: Alleinstellungsmerkmale und theoretische Innovationen

Timothy Speeds Gesamtwerk ist in seiner Kombination, Tiefe und Radikalität ohne direktes Vorbild. Die Alleinstellungsmerkmale lassen sich abschließend wie folgt zusammenfassen:

1. Einheit von Leben, Kunst und Theorie: Speed verwirklicht, wovon viele nur reden – die echte Interdisziplinarität. Seine Biografie, seine künstlerischen Aktionen und seine Theoriebildung sind untrennbar verflochten. Diese Integrität verleiht seinem Werk eine Authentizität, die man in abstrakten Theorien oft vermisst. Indem er „mit Haut, Verstand und Kamera“ zwischen Fließband und Vorstandsetage tritt, prüft er Ideen an der Realität und gewinnt umgekehrt aus der Realität neue Ideen. Dieses lebendige Theorie-Praxis-Gefüge erinnert an Marx’ Diktum, die Philosophen hätten die Welt nur interpretiert, es komme aber darauf an, sie zu verändern. Speed interpretiert, indem er verändert – und verändert, indem er interpretiert. In einer Zeit hochspezialisierter Wissensgebiete ist diese persönliche Universalität außergewöhnlich.

2. Neurodivergente Perspektive als Innovationsquelle: Speed zeigt eindrucksvoll, welches kreative Potenzial in einer autistischen Wahrnehmungs- und Denkweise steckt, wenn man sie nicht pathologisiert, sondern ernst nimmt. Viele seiner originären Konzepte – z.B. das MNO oder das Realitätenauge – entspringen dem Versuch, Erlebnisse zu artikulieren, die dem neurotypischen Mainstream verschlossen bleiben. Er macht monotropes Interesse (das intensive Fokussieren auf ein Thema) zur Triebkraft seiner Theoriebildung und Reizempfindlichkeit zur scharfen analytischen Sensorik. So wird Autismus vom Studienobjekt zum theoriegenerierenden Subjekt. Dieses Alleinstellungsmerkmal ist kaum hoch genug zu bewerten, denn es existieren weltweit nur wenige vergleichbare Beispiele, wo autistische Intellektuelle ein so umfassendes Theoriegebäude vorlegen. Speed leistet hier Pionierarbeit, die Anschluss an Diskurse über Neurodiversität und Wissenschaft liefern wird.

3. Brückenschläge zwischen Systemen: Theoretisch innovativ ist Speeds integrierender Denkstil. Er baut Brücken zwischen scheinbaren Gegensätzen: Subjektivität und System, Wissenschaft und Kunst, Sein und Nichts, Individuum und Gemeinschaft. Sein Alles-Nichts-Paradoxon und MNO-Modell sind Versuche, holistische Theorien zu schaffen, die nicht im Dualismus steckenbleiben. Dabei ersetzt er aber nicht eine Einseitigkeit durch die andere, sondern strebt echte Transklusion an – jedes Element behält seinen Platz (z.B. behält die Naturwissenschaft ihre Modelle, wird aber transzendiert). Diese Art Meta-Theorie ist in einer fragmentierten Wissenslandschaft innovativ und mutig. Es ist, als hätte Speed aus seiner multi-perspektivischen Außenseiterposition einen Blick auf das Ganze erhascht, den Spezialisten innen drin nicht so leicht bekommen.

4. Politischer Mut und Konsequenz: Speeds Werk ist nicht nur gedanklich radikal, sondern auch in der Umsetzung. Er hat persönliche Nachteile (Armut, Repression) in Kauf genommen, um der eigenen Theorie treu zu bleiben – etwa indem er sich weigerte, sinnlose Jobs anzunehmen, und stattdessen seine „Primärökonomie“-Beiträge als gleichwertig verteidigte. Diese Konsequenz verleiht seinen Theoremen wie Entfaltungsabstand oder Recht auf Krise eine Glaubwürdigkeit, die Theorien vom Elfenbeinturm oft fehlt. Zudem erschließt sein Aktivismus Daten und Erkenntnisse, die anders gar nicht verfügbar wären (man denke an seine Enthüllungen in Ämtern und Firmen). Er arbeitete undercover wie ein investigativer Journalist und wertete das Material wie ein Sozialwissenschaftler aus – aber mit dem Ethos eines Aktivisten. Diese Synthese macht ihn zum öffentlichen Intellektuellen eigener Art: weniger prominent als etwa Foucault oder Spivak, aber direkt vor Ort wirkend, nah an den konkreten Problemen der Leute. Seine Theorien wachsen organisch aus diesen Kämpfen heraus.

5. Neue Begriffe für neue Realitäten: Theorien leben von Sprache. Speed hat ein ganzes Set neuer Begriffe geschaffen, die helfen, zeitgenössische Probleme zu fassen: Entfaltungsabstand benennt die Kluft zwischen Fortschritt und Lebensqualität; Primärökonomie richtet den Blick auf den unsichtbaren Werteschöpfungsunterbau; arbeitsintegriertes Beziehungshandeln gibt einen Namen für etwas, das viele fühlen (die Sehnsucht nach Sinn und Zugehörigkeit in der Arbeit); Recht auf Krise formuliert das paradoxe Bedürfnis, auch mal scheitern und Abweichen zu dürfen. Diese Begriffe könnten im akademischen und öffentlichen Diskurs durchaus Karriere machen, denn sie füllen Lücken in unserem Vokabular. Speeds Sprachschöpfungen haben oft Schlagwort-Charakter, zugleich sind sie inhaltlich gehaltvoll. Damit hat er intellektuelles Neuland betreten.

6. Ethik der kreativen Differenz: In nahezu allen Bereichen propagiert Speed eine Haltung: Differenz nicht als Bedrohung, sondern als Bereicherung zu sehen. Sei es in der Physik (das Nicht-Objekt ermöglicht Verbindungen), in der Gesellschaft (das Abweichende erhält das System lebendig) oder im Zwischenmenschlichen (echte Beziehungen entstehen erst, wenn man sich Verletzbarkeit zugesteht). Diese Philosophie der kreativen Differenz verbindet existenzielle, erkenntnistheoretische und ethische Dimensionen. Sie ist anschlussfähig an zeitgenössische Theorien der Vielfalt (z.B. Chantal Mouffes Pluralismus in der Demokratie) und zugleich zutiefst originell, weil Speed sie mit Leben füllt. Er spricht von einem „positiven Verständnis von abweichendem Verhalten“, das neue komplexere Ordnungen ermöglicht. Hier zeigt sich ein innovativer normativer Ansatz: Weg von der Fixierung auf Sicherheit und Normalität, hin zu einer Kultur des produktiven Konflikts und der schöpferischen Spannung. Diese Idee könnte wegweisend sein für das Denken in vielen Feldern – von der politischen Theorie (Umgang mit Protest) bis zur Pädagogik (Umgang mit Neurodivergenz in Schulen).

Abschließend lässt sich sagen, dass Timothy Speeds Werk trotz (oder wegen) seiner Außenseiterrolle bereits jetzt beträchtliche Resonanzen erzeugt hat. Es fordert etabliertes Denken in mehrfacher Hinsicht heraus: epistemisch (wer darf Wissen produzieren?), inhaltlich (was ist Bewusstsein? was ist Arbeit? was ist Wert?), und methodisch (wie verbinden wir Theorie und Praxis?). Speed bietet keine einfachen Lösungen, aber Inspiration und Provokation. Sein Werk ist „ein Akt der kreativen Schöpfung“, der Konzerne und Regierungen mit dem unbequemen Individuum konfrontiert – und ebenso ein Akt der Schöpfung, der die Wissenschaft mit unbequemen Fragen konfrontiert. Indem er beständig die **„Machtstrukturen hinterfragt und Gegenreaktionen provoziert“*, bleibt Speeds Einführung in sein Denken auch eine Einladung an uns: Wir sollen uns „individuell ausdrücken und gegen die Normen des Systems leben“, wo diese Normen inhuman sind. Damit knüpft er letztlich an eine humanistische Tradition an, die von Hannah Arendts Plädoyer für Pluralität über bell hooks’ Vision liebevoller Gerechtigkeit bis Donna Haraways Sympoiesis-Gedanken reicht – aber er tut es auf höchst eigenständige, zeitgemäße Weise.

Timothy Speeds Gesamtwerk ist damit nicht nur eine kritische Bestandsaufnahme unserer Gegenwart, sondern auch eine Werkzeugkiste für mögliche Zukünfte – entworfen von einem, der die Zukunft von außen hereinträgt. Es bleibt spannend zu beobachten, wie diese Ideen in den Diskurs einsickern werden. Schon jetzt jedoch steht fest, dass Speed eine einzigartige Stimme in der Landschaft der Sozial- und Geisteswissenschaften darstellt: radikal subjektiv und zugleich systemisch, verletzlich und visionär, ein Außenseiter, der neue Wege ins Innere zeigt.

Quellen (Auswahl):

  • Speed, Timothy: Gesellschaft ohne Vertrauen. Wie wir kreative und lebendige Systeme in Wirtschaft und Gesellschaft gestalten können. BoD, 2014/2025 (Neuaufl.); Beschreibung der MNO-Theorie und Gesellschaftsvision

  • Speed, Timothy: Die Physik der Armen. Eine neurodivergente Meta-Theorie des Bewusstseins. BoD, 2016/2025; Klappentext und Inhaltsverzeichnis

  • Speed, Timothy: Radical Worker. Vom Recht auf selbstbestimmte Arbeit. Books on Demand, 2021/2025; Vorwort/Beschreibung auf timothy-speed.com

  • Speed, Timothy: Speeds Arbeit. (unveröff. Manuskript/Buch, 2025); Auszug Vorwort.

  • Speed, Timothy: Stieren des Weltdesigners. Ein neurodivergenter Roman. epubli/TWENTYSIX, 2014/2025; Kommentar auf timothy-speed.com

  • Timothy-Speed.com – Umfangreiche Texte und Thesen zu Speeds Arbeit, u.a. „Über die autistische Intersubjektivität in meiner Kunst und Sprache“ sowie „The True Story – Außenblick auf künstlerische Positionen…“

  • Amazon-Autorenseite Timothy Speed – Biografische Angaben

„Ein beeindruckendes Lebenswerk“ (Programmchef Radio Fritz, Stefan Warbeck)

„Do is a Magie in der Arbeit.“ (Der Schriftsteller H.C. Artmann)

„Alles was Du tust ist richtig. Keiner weiss das besser als Du.“ (Rene Schweizer, Kabarettist)