„Transferprotokoll“ ist eine Sci-Fi Komödie (groteske Komödie) über Armut, den Wert von Arbeit, individuellem Beitrag und Self-Empowerment in unserer kapitalistischen Gesellschaft.
DIE STORY
Nach 30 Jahren überwiegend unbezahlter Arbeit als Künstler, Arbeits- und Armutsforscher ist Timothy Speed endgültig bankrott und gerät in die Fänge der verrückten Jobvermittlerin Frau Redlich. Ihr Jobcenter befindet sich in einer gigantischen Büste von Facebook Gründer Mark Zuckerberg, in der Arme alles tun müssen, um geliked zu werden. Stigmatisiert, abgehängt und an den Rand der Gesellschaft gedrängt findet sich Speed im freien Fall. Doch er hat einen Plan. Mit der Begründung einer neuen Ökonomie und Arbeitsform will er die Menschheit endlich von der Armut befreien.
Timothy Speed begreift Film als ein Mittel der Intervention, des persönlichen Einschreitens und Geradestehens in der Gesellschaft. Das Werk ist Brücke zum Menschen, ohne Anspruch auf alleinigen Wert für sich.
Der Debattenfilm „Transferprotokoll“ ist ein autistisch-migrantischer Film, aus der Sicht der Ausgeschlossenen, der aus der Gesellschaft verdrängten. Speed erzählt nicht nur von außen, eine in sich geschlossene Narration, sondern immer durch sich selbst, und bricht damit Konventionen. Er offenbart politische Skandale, prangert massives Fehlverhalten von realen deutschen Behörden, BeamtInnen und MinisterInnen an, die er namentlich benennt: „Wir leben nicht in einer Zeit, in der es reicht, schöne Geschichten zu erzählen. Das Medium muss mehr zeigen, mehr ermöglichen. Brüche, Konflikte, Dialoge über Dinge und Verhältnisse, die uns alle betreffen, oder einen Einzelnen so sehr, dass dessen Schrei von keiner Ästhetik verstellt oder marginalisiert werden darf.“
In den Hauptrollen spielen Timothy Speed, Kirsten Nehberg (Hasenjagd, Bella Block, Großstadtrevier, True Crime: Tatunca Nara und die Toten im Dschungel/ARD), Lulu Bail (Rosenheim Cops, Polizeiruf 110) Adisat Semenitsch (Dani Levy/Stille Nacht, Dieter Hallervorden/Zebralla, 3Sat Serie/Für alle Fälle Stefanie), Serkan Sahan (ZDF Sibel&Max / RTL GZSZ)
In Gastauftritten mit dabei sind Katja Kipping von den Linken, sowie die Hartz IV Aktivistin Inge Hannemann uvm.
Film als Artistic Research
Es geht auch um die Reaktion auf den Film, die Teil des Films ist. Transferprotokoll weist als Projekt im Artistic Research nicht nur dokumentarisch und journalistisch realen MinisterInnen, StaatsanwältInnen, RichterInnen und BeamtInnen schwere Verbrechen an Armen nach, sondern zeigt auch wie das Hartz-IV-System (Bürgergeld) Menschen in Deutschland krank machte und macht. Eine Tatsache, die bekannt war und ist, gegen die sich bedauerlicherweise nicht genug prominenter Widerstand regt. Der Film offenbart den Sozialrassismus, den diese Gesellschaft im Rechtsruck mitträgt.
Dabei spielt Speed selbst eine „unmögliche Opferfigur“, die bewusst die Klischees bricht. Als weißer Mann wird er mit seinem Versuch die Welt zu retten, gleichermaßen zum Clown, zur personifizierten Hoffnung und wird dafür von der Gesellschaft mit einem Identitäts-Verbot bestraft. Timothy Speed spielt mit dem Unerlaubten, Unerwünschten, Unerträglichen, wirft die Frage von Gerechtigkeit somit als komplexe Dialektik ins Publikum, gibt sie an die KonsumentInnen zurück. Dies wird möglich, gerade weil er kein eindeutiger Held in der Geschichte ist und sein kann.
Der Film wird von einer umfassenden empirischen Forschung und journalistischer Undercover-Arbeit begleitet, die auch als Buch „Speeds Arbeit“ publiziert wurde. Der Film mehr als nur Film, sondern ein Auftakt zu umfassenden Enthüllungen über den Umgang des Staates mit Menschen in Armut.
Speeds Methode macht Beziehungen zwischen Individuum und Gesellschaft sichtbar, indem er gleichzeitig alles ins Persönliche zieht und damit Institutionen herausfordert. Somit wehrt er sich gegen Simplifizierung und Ausschluss und benutzt das Individuum, sich selbst, als sperrigen Widerstand gegen das leicht Verdauliche. Gegen das Verschwinden der subjektiven Individuen. Er tut dies, um Komplexität zu schaffen, für ihn die Grundlage von freier, humaner und offener Gesellschaft. Dass Speed nie passt, ist ein Postulat von Hoffnung auf Alternativen.
Transferprotokoll ist eine Gesamtperformance, die uns etwas über die Gesellschaft und die Schwierigkeit des Individuums erzählen will, darin einen Ort und eine eigene Lebenswelt zu finden:
Speed fordert die Gesellschaft und ihre Institutionen mit diesem Film heraus.
Transferprotokoll ist kein distanzierter Film, sondern ein Skandal. Weil er direkt auf Probleme unserer Gesellschaft zielt und dabei keine Rücksicht darauf nimmt, ob der Film darin erfolgreich sein kann.
Klar war daher seine mit dem Film verbundene Auseinandersetzung mit den öffentlich-rechtlichen TV-Anstalten, siehe diesen Offenen Brief an den Vorsitzenden der ARD Kaj Gniffke:
Offener Brief an ARD Vorsitzenden
SWR
Prof. Dr. Kai Gniffke
Der Intendant
Neckarstraße 230
70190 Stuttgart
22.09.2024
Offener Brief
Sehr geehrter Herr Intendant, Prof. Dr. Kai Gniffke,
Ich danke für Ihr Schreiben vom 19.9.24 und möchte hier mit einem offenen Brief antworten.
In der Forschung sprechen wir von „Kulturalisierung der Kunst“, wenn versucht wird, diese in einer gefahrlosen Nische zu halten, damit sie die Gesellschaft möglichst nicht stört. Man spricht auch von der Gettoisierung der Kunst. Adorno und Walter Benjamin warnten vor der „Ästhetisierung statt Politisierung“ und meinten damit, dass man der Kunst nicht selten ihre politische Dimension raubt, verhandelt man sie allein auf der Ebene der Ästhetik, also formaler Diskurse. Die Entwicklung, die Adorno und Benjamin verhindern wollten, die sehen wir heute bei den Öffentlich-Rechtlichen überall. Besonders, wenn es um die Auswahl des Programms geht.
Sie wählen nach Kriterien einer Ästhetik, formal und inhaltlich, aber Sie sind unfähig, Disruption auszuhalten. Auf den Vorwurf des Mangels an Diversität im Sinne der Abbildung der Bruchstellen in dieser Gesellschaft, reagieren Sie mit dem Hinweis auf die von Ihnen „sortierte Vielfalt“. Sie maßen sich damit an, zu glauben, Sie wüssten besser, was die Gesellschaft benötigt, als es die freie Szene vor Ort tut, als die Menschen die Missstände erleben und authentisch davon berichten können, statt nur von außen zu kommentieren. Das ist ein fataler Fehler.
Depolitisierung der Kunst meint, dass Kunst aus ihrem kritischen und gesellschaftlichen Kontext herausgelöst und zu einem harmlosen, konsumierbaren Produkt gemacht wird. Indem Kunst depolitisiert wird, wird sie zu einem Teil einer Nische gemacht, die nicht mehr auf das breitere gesellschaftliche Geschehen Einfluss nehmen kann. Gefährlich ist dies besonders, wenn eine Gesellschaft im Rechtsruck versinkt.
In Ihrem Schreiben vom 19. September 2024 kann man diese Gefahr erkennen, die Ihnen vermutlich nicht bewusst ist. Sie schreiben zunächst über den Film: „Ihr Film „Transferprotokoll“ ist ein hybrider Mix aus Gesellschaftssatire, Dokufiction mit Anleihen im Science-Fiction-Genre, künstlerisches Selbstporträt und zugespitztem Thesenfilm. In Ihrer satirischen Beschäftigung mit dem Thema Armut drehen Sie den Spieß um und klagen die deutsche Bürokratie an, um Ihren Blick auf gesellschaftliche Machtstrukturen pointiert darzustellen. Geschmacklich und politisch kann man sich an Ihrem Werk reiben.“Diese Einschätzung stimmt, doch anschließend schreiben Sie: „Dennoch ist unser Eindruck, dass Probleme mit Hartz IV bzw. dem heutigen Bürgergeld und der damit verbundenen Kritik einer anderen Vermittlung an unser Publikum bedürfen.“
„Ihr Publikum“, verzeihen Sie mir die Zuspitzung, scheint demnach senil, dumm, ungebildet, sprich, Sie trauen diesem nicht zu, selbstständig mit Kunst umzugehen. Auch nicht mit einer Kritik am Bürgergeldsystem, welche nicht Mainstream ist, also nicht den üblichen klassistischen Rassismen über diskriminierte Gruppen entspricht, die nur allzu gerne auch von den Öffentlich-Rechtlichen repliziert werden. Schon gar nicht wollen Sie, dass diese Missstände von jemandem beschrieben werden, der diese Menschenverachtung selbst erlebt hat und daher die Distanzstrategien derer die wegsehen wollen durchbricht.
„Ihr Publikum“ wird von Ihnen behandelt, als hänge es von Ihrem Urteil ab, von Ihrer Fähigkeit zu entscheiden, was für es gut oder schlecht ist. Weil diesem Anspruch mit Haltung kaum zu begegnen ist, wählen Sie die Austauschbarkeit und das Mittelmaß. Im „Safe Space“ entziehen Sie sich als öffentlich-rechtliche Sender der Verantwortung.
Sie sind ein weißer Mann in einer extrem privilegierten Position. Ich bin ein im Prekariat lebender Migrant und Kulturschaffender, der von Rechtsradikalen in Brandenburg verfolgt wird und versucht hat mit geringen Mitteln in vier Jahren unbezahlter Arbeit etwas gegen die Zustände zu unternehmen, indem die SchauspielerInnen und ich ohne Geld einen Film machten.
Verzeihen Sie, wenn meine Sprache daher nicht ausreichend bequem für „Ihr Publikum“ ist! Wie auch, wenn ich weder über Ihre Ressourcen, Ihr Budget verfügte, noch über Ihren Zynismus in der Frage, ob Filme der freien Szene von der Mehrheit verstanden werden, oder gar nutzlos sind. Sie drängen die eh schon Marginalisierten immer weiter aus dem öffentlichen Diskurs und erledigen damit die Arbeit der Rechten. Dies tun Sie auf tragische Weise in dem Glauben „Ausgewogenheit“ zu bewahren, die Sie als reibungsfreie Zone missverstehen.
Ihre Entscheidung schwächt die Zivilgesellschaft und verengt den Diskurskorridor, ein Vorwurf der Ihnen eh schon oft genug gemacht wird, fataler Weise am Lautesten von Rechts.
Dies trifft nicht nur mich, sondern weite Teile der Kunst werden heute von Rechts bedroht. Sie implizieren mit Ihrem Schreiben, unsere Arbeit ginge die Gesellschaft nichts an, die Kunst sei ein Produkt, welches sich nicht aufdrängen dürfe. Sie verstehen Ihren kulturellen Auftrag falsch. Denn wir sollen nach Ihrer Ansicht nicht stören. Sie machen die Öffentlich-Rechtlichen dadurch abermals bedeutungslos für den demokratischen Diskurs.
Der Film Transferprotokoll ist eine Zumutung. Das stimmt. Die Frage lautet aber, ist nicht genau diese Zumutung, die ja nicht Recht haben will, sondern einen Diskurs dient, nicht in Zeiten in denen 30% im Osten Faschisten wählen und ein Rechtspopulist wie Friedrich Merz, der volksverhetzend gegen Arme hetzt, bald Bundeskanzler werden könnte, ein Film, den wir uns alle zumuten sollten? Warum dürfen Arme sich bei Ihnen in ARD und SWR nicht frei ausdrücken? Welchen Besitzstand wollen Sie hier als Privileg wahren?
Ich bitte Sie Ihre Entscheidung, die nun eine Entscheidung der Zivilgesellschaft werden wird, zu überdenken. Sie könnten den Film einfach kontextualisieren. Arme haben es durchaus verdient, dass man den Aufwand betreibt, ihre Sicht genauso einzuordnen und dem Raum zu geben, wie das bei den Arbeiten von VIPs der Fall ist. Sie können sich sogar von dem Film distanzieren, aber zeigen sie ihn! Wenn Kunst nicht gezeigt wird, weil sie Reibung erzeugt, womit dann sollen wir Faschismus, also Gleichschaltung effektiv bekämpfen? Tausende Arme, MigrantInnen und Kulturschaffende sind von einem neuen Rechtsruck massiv bedroht. Bringen Sie uns nicht zum Schweigen!
Wir als Publikum gehören Ihnen nicht und wir wollen Ihnen auch nicht gehören. In Zeiten wie diesen dürfen Programmentscheidungen nicht allein RedakteurInnen überlassen werden, für die Themen austauschbar sind. Denn wir sind es mit unserem Leid und unserem Anliegen nicht.
Die freie Szene, die Marginalisierten fordern einen Platz am Tisch.
MfG
Timothy Speed