Kalte Nächte in der Ferien-Suite von Bundespräsident Kirchschläger
Im Winter 2008 liege ich im Schloss einer österreichischen Gräfin, mit einem Unternehmsberater im pragmatisch bedingten Doppelbett. Die Suite ist unbeheizt und das Schlosshotel steht seit Jahrzehnten leer. Wir befinden uns in der ehemaligen Sommerferien-Wohnung des Österreichischen Bundespräsidenten Kirchschläger.
Ich stehe früh auf und versuche mich im seit Jahren nicht mehr geputzten Bad, mit Eiswasser zu duschen. Der Unternehmensberater verzichtet. Es ist als würde man ausgepeitscht. Hier zu erleben ist die Wertschätzung reicher Menschen, für jene die es nicht sind.
In den kommenden Wochen reise ich mehrmals an. Denn das Projekt ist von erheblicher Größenordnung und äußerst faszinierend. Es geht um die inoffizielle Geschichte der Macht in Europa, um die Verteilung des Wohlstands und die frühen Tage der Industrialisierung und des Kapitalismus. Als aus dem Altadel moderner Geldadel wuchs, in Zeiten in denen zwischen wenigen Familien um ganze Landstriche geschachert wurde. Das ging alles zurück bis zum 30 Jährigen Krieg und weiter.
Die Adelsfamilie für die ich ein Kulturprojekt umsetzen soll, besitzt vordergründig ein Dorf, im Hintergrund wesentlich mehr. Das Dorf soll als Ort der Kultur neu belebt werden. Doch darum geht es am Ende nicht.
Sichtbar wird für mich die Welt hinter dem Geld, mit Verbindungen und Verwandtschaften quer durch die Herrschaftshäuser und Jahrhunderte Europas. Ich darf über sehr viel nicht sprechen.
Es kommt daher zu einer künstlerischen Aktion, die vollkommen unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindet, weshalb ich hier nur einen Baum (Stammbaum) zeige.
Ich versuche in diesem Projekt, hinter den Kulissen, die verborgene Macht zum Umdenken zu bewegen. Ich mache sogar stundenlange Coachingsitzungen mit ihnen, um das Grauen ihrer Familien aufzuarbeiten.
Ich kann, unter uns, nur so viel sagen. Versucht man die Monströsitäten hinter dem Kapitalismus, der aus dem Kolonialismus entsteht, zu heilen, die Jahrhunderte des Machtmissbrauchs, die ekelerregenden Kreaturen, welche der übermäßige Reichtum der oberen Zehntausend hervorgebracht hat, auf dem Rücken von SklavInnen und ZwangsarbeiterInnen, stellt man fest, dass jene mit der größten monetären Macht nicht selten derart durchgeknallt sind, kaputt, menschlich und psychisch klein, dass mit ihnen an einer humaneren Welt zu arbeiten unmöglich erscheint. Sie sind wie sich über Jahrhunderte streitende Kinder, die dabei alles kaputt schlagen und ewig wiedergeboren werden.
Ihr elitärer Ethos suggeriert ihnen, gleich einer Gehirnwäsche, von Kindheit an, sie würden die Welt im Alleingang erhalten, was alles andere an Brutalität legitimiert.
Ich lerne in diesen Monaten sehr viel über die Ursprünge des Marktes und der Wohlstandsverteilung. Ich wünschte die ÖkonomInnen dieser Welt würden diese Realitäten sehen. Sie würden nicht mehr von Zahlen sprechen, sondern traumatisiert in Eimer kotzen, bis der letzte Rest an Glauben, der kapitalistische Markt führe zu einer besseren Welt, endlich raus ist.
In den Psychogrammen der reichen Familien ist das Grauen genauso abzulesen, wenn auch in anderer Form, wie in den Lebensverhältnissen der Armen dieser Welt.
Ich kann das nicht einfach nicht sehen. Dies alles muss Konsequenzen haben. Die Antwort lautet: Die menschliche Dimension muss sichtbar werden, so erschreckend und verstörend sie auch sein mag. Wir tragen alle das Kolonialschwein in uns.