Neurodivergenter Künstler (AuDHD/Autist/ADHS/Hochbegabung), Buchautor, TV- und Filmproduktion, Speaker, Artistic Research: Armutsforschung (Klassismusforschung) Die Zukunft der Arbeit. Neurodivergente Forschung, Bewusstseinsforschung (Qualia)
Neurodivergenter Künstler (AuDHD/Autist/ADHS/Hochbegabung), Buchautor, TV- und Filmproduktion, Speaker, Artistic Research: Armutsforschung (Klassismusforschung) Die Zukunft der Arbeit. Neurodivergente Forschung, Bewusstseinsforschung (Qualia)

Buch: Gesellschaft ohne Vertrauen (Artistic Research – Neurodivergente Forschung)

Buchcover Gesellschaft ohne Vertrauen von Timothy Speed
Buchcover Gesellschaft ohne Vertrauen von Timothy Speed

Mit »Gesellschaft ohne Vertrauen« begann die Erarbeitung einer der radikalsten Gesellschaftsentwürfe der Gegenwart, den Timothy Speed über 20 Jahre entwickelte. In »Gesellschaft ohne Vertrauen« nahm seine lebenslange Suche nach den verborgenen, kreativen Regeln von Natur, Kultur und System ihren Anfang – nach jenen Prinzipien, die lebendige Gesellschaften entstehen lassen, wenn man sie nicht durch Kontrolle, Angst und Anpassung erstickt.

Speed denkt Gesellschaft nicht als Maschine, sondern als lebendiges, komplexes Feld – geordnet durch innere Rhythmen, durch Differenz, durch subjektive Impulse. In diesem Frühwerk entwickelt er die Ideen, die später in »Radical Worker« und »Die Physik der Armen« zu einem neuartigen Weltmodell ausreifen: einer systemisch-poetischen Theorie des Bewusstseins, in der Subjektivität, Wille und Erleben keine Störfaktoren, sondern Grundachsen jeder gesellschaftlichen Ordnung sind.

Die vorliegende Neufassung von 2025 verankert das Buch in einem erweiterten Kontext: Sie zeigt, wie die ursprünglich essayistische, persönliche Intervention zur Geburtsstätte einer umfassenden Theorie wurde – der MNO-Theorie (Minimal-Nicht-Objekt) – die nicht weniger will, als Gesellschaft, Arbeit, Politik, Medien und Recht aus der Perspektive kreativer Systembildung neu zu denken.

Dabei bleibt der Fokus stets klar: die Stärkung der Freiheit des Einzelnen – nicht als neoliberales Konsumideal, sondern als radikale, schöpferische Integrität in einer Welt, die wieder lernen muss, Unterschied zu ertragen, statt ihn auszumerzen.

Ein Werk für alle, die Gesellschaft nicht nur kritisieren, sondern mitgestalten wollen. Ein Buch, das Theorie, Kunst und gelebten Widerstand vereint – und dabei selbst zum lebendigen Organismus wird.

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Eine Einordnung der Arbeit von Timothy Speed

Als Timothy Speed im Jahr 2005 das Buch »Gesellschaft ohne Vertrauen« veröffentlichte, existierte noch kein Vokabular für das, was er darin tat. Die Begriffe neurodivergente Forschung, Artistic Research, epistemische Gerechtigkeit, Critical Autism Studies oder embodied knowledge waren, wenn überhaupt, nur in akademischen Nischen oder als ferne Vorboten im Entstehen. Und doch lieferte Speed ein Werk, das in seiner Form, Methode und Tiefe vieles vorwegnahm, was heute unter diesen Begriffen diskutiert wird – nicht als Theoriepapier, sondern als gelebte, riskante Praxis.

»Gesellschaft ohne Vertrauen« ist ein Meilenstein der Gegenwartsdiagnostik – nicht, weil es aus der Mitte der Institutionen kam, sondern weil es sich von dort ausgeschlossen wusste und dennoch einen präzisen Zugriff auf die systemischen Schwächen westlicher Demokratien formulierte. Speed beschrieb mit analytischer Schärfe, was anderen kaum auffiel: dass unsere Systeme nicht primär an Ressourcenmangel, Technologiedefizit oder mangelndem Wissen leiden – sondern an einem strukturellen Vertrauensverlust gegenüber Subjektivität. Er erkannte früh: Eine Gesellschaft, die individuelle Wahrheit, innere Ordnung, affektive Differenz und psychische Eigenlogik nicht integrieren kann, wird dysfunktional – selbst, wenn sie formal perfekt organisiert erscheint.

Was »Gesellschaft ohne Vertrauen« leistet, ist die radikale Umkehrung einer jahrzehntelangen Logik: Nicht das Äußere ordnet das Innere – sondern nur aus innerer, individueller Ordnung kann äußere Systemkohärenz entstehen. Damit bricht Speed mit technokratischen Utopien, mit kybernetischem Kontrollwahn und mit neoliberalen Verwertungsideologien, die den Menschen auf Anpassung, Leistung und Resilienz reduzieren.

Der Begriff, den Speed einführt – »systemkreativ« –, ist heute aktueller denn je. Er steht im Kontrast zur »Systemrelevanz«: Während Letztere nur das Funktionale meint, beschreibt Systemkreativität das Vermögen, Ordnungen zu destabilisieren, Strukturen zu irritieren, Entwicklung durch subjektive Differenz zu ermöglichen. Eine Gesellschaft, die diese Fähigkeit unterdrückt, verliert ihre Lernfähigkeit – so Speed – und produziert stattdessen Erstarrung, Depression und Kontrolle.

In seiner Arbeitsweise war und ist Speed damals und heute seiner Zeit weit voraus: Er denkt nicht über Armut, über Arbeit oder über Machtverhältnisse – er lebt in ihnen. Als neurodivergente Person mit (damals noch nicht diagnostiziertem) Autismus und ADHS wurde seine Forschung zu einer existenziellen Praxis: Er konfrontierte Behörden, Institutionen, Unternehmen mit seiner Präsenz, seiner Weigerung zur Anpassung, seinem Denken. Damit ist er Teil einer Tradition, die heute u. a. mit Paul B. Preciado, Chris Kraus oder bell hooks in Verbindung steht: Theorie als verkörperter Widerstand, Erkenntnis als Grenzerfahrung.

Inzwischen zählt er zu den Pionieren einer systemkreativen Gesellschafts- und Organisationsentwicklung sowie eines authentischen Diversity-Managements. Seine Arbeit geht dabei weit über bloße Kritik hinaus: Sie fordert radikale Integrität und Selbstwirksamkeit in der Gestaltung von Zukunft. Speed fordert in seiner »provozierten Empirie« ein »Recht auf Krise« und zeigt, dass gesellschaftliche Entwicklung nur dann gelingt, wenn die Systeme sich durch subjektive Impulse destabilisierbar zeigen – nicht durch Anpassung, sondern durch echte Reibung.

Diese Reibung inszeniert Speed auf ebenso provokante wie symbolisch dichte Weise. So versuchte er 2010, das Unternehmen Red Bull durch eine künstlerische Aktion zu irritieren – er drohte vor der Konzernzentrale einen Stier zu töten, um den Konzern zu einer echten Auseinandersetzung mit der Beziehung zwischen Mensch, Subjektivität und Unternehmensform zu zwingen. Zitat Speed: »Für eine Woche waren die Leute bei Red Bull gespalten. Sie wussten nicht, ob sie als Mensch oder als Funktion auf mein Handeln reagieren sollten. Ich hatte das Gefühl, dass der Mensch in ihnen mit mir den Stier töten wollte, während der Anwalt, der Milliardär, der Manager, der aus ihnen sprach, dies um jeden Preis verhindern musste. In dieser Woche gehörte das Unternehmen allein dem an der Welt zweifelnden Menschen. Der Gewissheit, dass jeder von uns einen Konzern bezwingen, gestalten und verändern kann.«

Er diagnostizierte, was Philosophen wie Hartmut Rosa erst Jahre später mit dem Begriff der »Resonanz« beschrieben: dass eine Gesellschaft, die Differenz nicht mehr hören, fühlen, integrieren kann, in Entfremdung versinkt. Seine Unterscheidung zwischen äußerer Funktionalität und innerer Wahrheit antizipiert viele der späteren Arbeiten über subjektive Entkopplung und systemische Gewalt, wie sie z. B. in den Critical Disability Studies oder bei Robert McRuer und Jasbir Puar formuliert werden.

Und dennoch: In der Praxis scheiterte Speed an der Welt, die er zu verändern suchte. Seine Methoden – radikal-subjektiv, nicht-klassifizierbar, ohne institutionellen Rückhalt – wurden nicht ernst genommen. Er wurde nicht als Forscher gelesen, sondern als Provokateur. Die kulturelle und akademische Landschaft war nicht bereit für eine Erkenntnispraxis, die aus Armut, Scheitern und Subjektivität ihre Kraft bezog. Der gesellschaftliche Apparat, den er so präzise kritisierte, erkannte seine Intervention nicht als Beitrag, sondern als Störung.

Dass er trotzdem weitermachte, seine Ansätze später in Radical Worker, Die Physik der Armen und Speeds Arbeit vertiefte und dort eine umfassende Ontologie (die MNO-Theorie) entwickelte, ist ein Beleg dafür, dass seine damalige Analyse nicht nur richtig, sondern notwendig war. Die heutige Fassung von Gesellschaft ohne Vertrauen macht diese Pionierleistung sichtbar. Sie zeigt nicht nur, woran wir als Gesellschaft gescheitert sind, sondern auch, was es braucht, um Vertrauen zurückzugewinnen: den Mut, dem anderen nicht als Ausnahme, sondern als Ursprung zu begegnen.

Ein Buch, das die Zukunft in sich trug, aber zu früh kam, um gehört zu werden. Jetzt ist seine Zeit.

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