Neurodivergenter Künstler (AuDHD/Autist/ADHS/Hochbegabung), Buchautor, TV- und Filmproduktion, Speaker, Artistic Research: Armutsforschung (Klassismusforschung) Die Zukunft der Arbeit. Neurodivergente Forschung, Bewusstseinsforschung (Qualia)
Neurodivergenter Künstler (AuDHD/Autist/ADHS/Hochbegabung), Buchautor, TV- und Filmproduktion, Speaker, Artistic Research: Armutsforschung (Klassismusforschung) Die Zukunft der Arbeit. Neurodivergente Forschung, Bewusstseinsforschung (Qualia)

Die Physik der Armen: Eine neurodivergente Meta-Theorie des Bewusstseins (Artistic Research – Neurodivergente Forschung)

Die Physik der Armen - Titel
Buch von Timothy Speed

Wer Objekte, Produkte, Dinge hat, ist wertvoll. Wer keine hat, ist wertlos. Diese Erfahrung machte der britisch-österreichische, autistische Künstler Timothy Speed in vielen Jahren der Armut. Er entschied sich als Antwort darauf, die Physik umzuschreiben – und nicht die Dinge zur Grundlage der Welt zu machen, sondern das „Nichts“. Dieser scheinbar kleine Kunstgriff hat erhebliche Auswirkungen auf Physik, Bewusstseinsforschung sowie auf die Strukturen von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Die Physik der Armen ist kein Essay, keine Theorie-Spielerei – es ist eine vollständige, originäre Strukturtheorie der Wirklichkeit. Timothy Speed entwirft mit dem MNO (Minimal-Nicht-Objekt), der Submergenz-Triade und dem Alles-Nichts-Paradoxon eine fundamentale Ontologie, die die gängigen Bewusstseinsmodelle (IIT, GNW, SOC) nicht ersetzt, sondern sie tiefgreifend integriert und transzendiert. Er zeigt, dass Bewusstsein nicht als Folge von Komplexität erklärbar ist – sondern als emergente Entscheidung innerhalb einer strukturellen Lücke. Diese Arbeit stellt eine neue Antwort auf das Hard Problem des Bewusstseins bereit, indem sie nicht mehr nach dem Ursprung von Qualia fragt, sondern nach der Form der Leere, aus der Subjektivität selbst entsteht. Die Lücke wird zur Quelle, das Nichts zum produktiven Prinzip. Damit verbindet Speed theoretische Physik, Philosophie, phänomenologische Erfahrung und soziale Realität in einer kohärenten Metastruktur. Die Physik der Armen ist ein Werk der künstlerischen Forschung (Artistic Research), eine radikale Form des Denkens aus der Grenze – philosophisch, politisch, existenziell. Es bringt nicht nur neue Begriffe, sondern eine andere Epistemologie: aus dem Autismus, aus der Armut, aus dem Außen. Dieses Buch ist ein Bruch mit akademischer Gewohnheit – und vielleicht gerade deshalb das, was sie jetzt braucht.

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Wissenschaftliches Gutachten zu Die Physik der Armen von Timothy Speed

Einführung: Hintergrund und Anliegen des Buches

Timothy Speeds Die Physik der Armen (Erstauflage 2016, 2. Auflage 2025) ist ein außergewöhnliches Werk an der Schnittstelle von Physik, Bewusstseinsforschung, Philosophie, Kunst und Gesellschaftstheorie. Der britisch-österreichische Künstler und Autist Speed, geprägt durch Jahre extremer Armut, unternimmt darin nichts weniger als den Versuch, die Grundlagen der Physik neu zu formulieren – mit einem radikalen Kunstgriff: Nicht Objekte sollen länger das Fundament der Weltbeschreibung sein, sondern das „Nichts“. Dieser Ansatz – eine bewusste Umkehr der ontologischen Ausgangspunkte – trägt provokante Züge: Er macht die Abwesenheit (das Leere, Fehlende) zum produktiven Prinzip der Realität, was laut Speed weitreichende Folgen für Naturwissenschaft, Bewusstseinsforschung sowie für Politik, Wirtschaft und Gesellschaft hat.

Bereits der Klappentext deutet den Anspruch an: Die Physik der Armen sei keine bloße Theorie-Spielerei, sondern eine vollständige, originäre Strukturtheorie der Wirklichkeit. Speed entwickelt neuartige Konzepte – das MNO (Minimal-Nicht-Objekt), die Submergenz-Triade und das Alles-Nichts-Paradoxon (ANP) – um eine fundamentale Ontologie zu entwerfen, welche die gängigen Bewusstseinstheorien wie die Integrated Information Theory (IIT), die Global Workspace Theory (GWT/GNW) und das Prinzip der Self-Organized Criticality (SOC) nicht etwa ersetzt, sondern integriert und transzendiert. Im Kern zielt das Werk darauf ab, eine neue Antwort auf das sogenannte Hard Problem des Bewusstseins zu geben. Anstatt nach dem Ursprung von Qualia zu fragen, fragt Speed nach der Form der Leere, aus der Subjektivität entsteht – die Lücke als Quelle des Bewusstseins. Mit dieser emergenten Lücke als Erklärungsansatz will er zeigen, dass Bewusstsein nicht einfach als Folge von zunehmender Komplexität erklärbar ist, sondern als „emergente Entscheidung“ innerhalb einer strukturellen Lücke im Gefüge der Realität.

Das Buch ist erkennbar geprägt von Speeds biografischem Hintergrund als autistischer Künstler in prekären Lebensverhältnissen. Es versteht sich als Werk der künstlerischen Forschung (Artistic Research) und als Form des Denkens von den Rändern her: „aus dem Autismus, aus der Armut, aus dem Außen“. Entsprechend bricht Speed bewusst mit akademischer Konvention – das Buch vereint theoretische Physik, Philosophie, phänomenologische Erfahrung und soziale Realität in einer kohärenten Meta-Struktur. Die Sprache und Herangehensweise sind essayistisch-experimentell, was das Werk für ein interdisziplinäres Publikum attraktiv, aber in der akademischen Rezeption auch herausfordernd macht. Insgesamt präsentiert Die Physik der Armen den ambitionierten Versuch einer paradigmatischen Verschiebung: Von einer objektzentrierten Weltsicht hin zu einer Lücken-zentrierten Sicht, die sowohl naturwissenschaftliche als auch humanwissenschaftliche Diskurse neu ordnen möchte.

Zentrale Thesen und neue Konzepte

Im Mittelpunkt von Speeds Metatheorie stehen vier eng verknüpfte Kernkonzepte: das Minimal-Nicht-Objekt (MNO), das Alles-Nichts-Paradoxon (ANP), die Submergenz-Triade und die Idee einer vertikalen Ordnung der Realitätsebenen. Gemeinsam bilden sie das Gerüst seiner alternativen Ontologie.

  • Minimal-Nicht-Objekt (MNO): Dieses Konzept bezeichnet die ontologische Lücke, das kleinste mögliche „Nichts“, das im Gefüge der Realität auftreten kann. Das MNO ist kein Objekt, sondern definiert sich gerade durch Abwesenheit – es ist ein Minimum an Nicht-Sein, das dennoch wirkmächtig ist. Speed bezeichnet das MNO als „aktives Nichts“, einen kreativen Leerraum, aus dem neue Strukturen und Formen emergieren. Entscheidend ist: Ohne Lücke keine Form, ohne Form keine Information. Sobald in einem System etwas fehlt – sei es eine physikalische Größe, eine Information oder ein Sinnesreiz – organisiert sich das verbleibende System um diese Leerstelle herum und generiert eine neue Struktur, eine Realitätsschicht, um die Lücke zu „umhüllen“. Dieses Verhalten macht das MNO zum fundamentalen Prinzip der Wirklichkeitsbildung in Speeds Theorie. Anders gesagt: Die Abwesenheit wird zum Motor der Differenzbildung. Jede konkrete Struktur in der Welt ist letztlich der Versuch, eine Lücke zu schließen, ohne sie jemals vollständig eliminieren zu können. Darin liegt eine paradoxe Produktivität des Nichts: Das ständige Misslingen der Lückenschließung erzeugt beständig neue Form und Bedeutung. Speed formuliert zugespitzt: „Die Lücke wird zur Quelle, das Nichts zum produktiven Prinzip.“. Das MNO steht damit in bewusster Opposition zu herkömmlichen Ontologien, die von vorhandenen Entitäten ausgehen – hier wird das Nicht-Seiende zum Ausgangspunkt aller Seinskonstitution. Philosophisch erinnert das an Überlegungen zu Negativität und Abwesenheit (etwa in der Phänomenologie oder östlichen Philosophien), wird aber von Speed in ein neues theoretisches Kleid gekleidet.

  • Alles-Nichts-Paradoxon (ANP): Dieses Paradoxon adressiert die untrennbare Kopplung von Sein und Nichtsein. Speed argumentiert, dass „Alles“ (die Gesamtheit der Existenz) und „Nichts“ nicht unabhängig gedacht werden können – sie bedingen einander in einem strukturellen Widerspruch, der aber fruchtbar ist. Das ANP ist gewissermaßen der erkenntnistheoretische Kern der MNO-Idee: Wenn man das Nichts als real wirksam anerkennt, verschwimmt die klare Trennung zwischen dem, was ist, und dem, was nicht ist. Dieses Paradox zuzulassen wird von Speed als notwendig erachtet, um der Wirklichkeit gerecht zu werden – herkömmliche Ontologien blenden das Nichts aus und geraten so in Erklärungsnöte. Das ANP bringt Speed dazu, scheinbare Gegensätze zu vereinen: In seiner Theorie können Entitäten zugleich anwesend und abwesend sein, oder besser gesagt: Jede Entität verdankt sich einer gewissen Abwesenheit. Solche Paradoxien zuzulassen, sieht Speed nicht als Fehler, sondern als essentielle Voraussetzung, um Phänomene wie Bewusstsein und Humanität überhaupt fassen zu können. Das Hard Problem des Bewusstseins – wie subjektives Erleben aus objektiver Materie entsteht – wird im Lichte des ANP neu formuliert: Bewusstsein entsteht als Zwischenzustand zwischen Allem und Nichts, als eine Art Spannungsfeld innerhalb der Realität, in dem sich Subjektivität herausbildet. Speed beantwortet die Qualia-Frage somit indirekt, indem er die Frage selbst verschiebt: Nicht „Wie kommt Geist in die Materie?“, sondern „Aus welcher strukturellen Leere heraus kann überhaupt ein Erleben auftauchen?“.

  • Submergenz-Triade: Unter Submergenz versteht Speed den Vorgang oder Zustand der Vereinheitlichung von Differenz, also ein „Untertauchen“ individueller Unterschiede in einem dominanten System. Die Submergenz-Triade ist Speeds Analyse eines sozialen und kognitiven Problems: In modernen Gesellschaften gehen durch Konformitätsdruck und Standardisierung individuelle Realitäten und Kreativität verloren. Er beschreibt Submergenz als Mechanismus der Normierung, durch den die Wahrnehmung von Realität flach und homogen wird. Dabei identifiziert Speed offenbar ein triadisches Gefüge – womöglich bestehend aus dem individuellen Pol, dem kollektiven Pol und der vermittelnden Leerstelle dazwischen. Zwar wird die genaue Dreiteilung im Buch nicht auf den ersten Blick deutlich (der Begriff Triade impliziert drei Komponenten, die im Text aufgefächert werden müssten), aber inhaltlich lässt sich erschließen: Die Submergenz-Triade thematisiert das Spannungsverhältnis zwischen Individuum, Gesellschaft und dem „Nicht-Wahrnehmbaren“, das in der Gleichschaltung verloren geht. Speed zeigt etwa auf, wie Phänomene wie Fake News, Globalisierung, Simplifizierung oder der Verfall solidarischer Beziehungen Ausdruck von Submergenz sind. Wenn Systeme zu einheitlich werden, geht die Unterscheidungsfähigkeit verloren, kreative und dynamische Kräfte erlahmen – das System isoliert sich von komplexen Einflüssen und degeneriert schließlich (so erklärt Speed z.B. Wirtschaftskrisen oder intellektuellen Verfall in Eliten). Die Triade dürfte dabei aufzeigen, dass Submergenz nicht bloß ein linearer Prozess ist, sondern ein Wechselspiel: Vielleicht zwischen Übermaß an Ordnung, Verlust an Diversität und Notwendigkeit von Abweichung. Tatsächlich betont Speed als Lösung die bewusste Einführung von Abweichungen: Nur durch radikal individuelle, von der Norm abweichende Erfahrungen kann die Submergenz durchbrochen und das System re-vitalisiert werden. Die Submergenz-Triade verknüpft Speeds naturphilosophische Ideen mit einer deutlichen Gesellschaftskritik: Eine allzu starre, objektfixierte Realitätserzählung (etwa im Spätkapitalismus) erstickt Lebendigkeit und Menschlichkeit. Indem Speed Submergenz theoretisch greifbar macht, liefert er zugleich die physikalisch-metaphorischen Grundlagen für eine Empowerment-Strategie: Das Nichts – verstanden als Raum für Abweichung – wird zum Schlüssel, um aus uniformierenden Strukturen auszubrechen.

  • Vertikale Ordnung der Realitätsebenen: Ein weiteres zentrales Motiv in Speeds Buch ist die Vorstellung einer geschichteten Wirklichkeit. Anders als die gängigen wissenschaftlichen Modelle, die oft horizontal (d.h. auf einer Ebene innerhalb festgelegter Grundrahmen) operieren, führt Speed eine vertikale Dimension ein: Reality builds up in Schichten, die hierarchisch übereinander liegen. Diese Idee der vertikalen Ordnung zeigt sich anschaulich in Speeds Zwiebelschalen-Modell der Realität. Jedes Mal, wenn ein MNO (eine Lücke) auftritt, bildet sich um dieses Nichts eine neue Sphäre – eine Schicht Realität –, die die Lücke umschließt, ohne sie völlig zu füllen. Das Resultat ist ein konzentrischer Aufbau: Speed spricht explizit von „Wirklichkeitshäuten – Zwiebelschichten“, die sukzessive das MNO einhüllen. Diese Schichten sind transzendental nach innen gefaltet, erscheinen uns aber „von außen“ als qualitative Sprünge: etwa als neue Epoche, neue Art oder neues Bewusstseinsniveau. Hier zeigt sich, wie Speed evolutionäre Entwicklung interpretiert: Nicht kontinuierlich und linear, sondern in diskreten Sprüngen („qualitative Sprünge“), wenn ein System auf eine Lücke reagiert und dadurch eine neue Organisationsebene entsteht. Diese vertikale Staffelung erzeugt eine Hierarchie von Realitäten – eine Metaphysik, in der höhere Ebenen aus tieferen emergieren, jedoch immer noch selbstähnlich den früheren Ebenen strukturell verwandt sind. Speed betont, dass das Neue dabei nicht völlig fremd ist, sondern komprimierte Versionen des Alten darstellt. Wichtig für die Vertikalität ist auch der Begriff des Lückengradienten: Solange ein Gap Gradient positiv ist (d.h. solange eine Lücke noch Spannung bietet), können weitere Schichten entstehen. Ist die Lücke vollständig geschlossen (Gradient = 0), kommt der vertikale Wachstumsvorgang zum Stillstand. Damit formuliert Speed ein Kriterium für offene Systeme: Nur Unvollständigkeit garantiert fortwährende Entwicklung. Diese vertikale Ordnungsstruktur läuft den etablierten Vorstellungen (z.B. einer feststehenden Raumzeit als statischem Hintergrund) diametral entgegen. Sie erinnert entfernt an Holarchie-Konzepte oder Schichtentheorien (etwa in der Systemtheorie), aber Speeds Clou ist das Ontologisieren dieser Schichten als tatsächliche physikalisch-philosophische Realitäten.

Zusammengefasst: Speed führt eine neue Ontologie ein, in der Lücken ontologischen Rang haben, Paradoxien zugelassen sind, Normierungsprozesse kritisch beleuchtet und Schichtungen der Realität beschrieben werden. Diese Konzepte sind hochgradig interdependent: Das MNO (Lücke) steht im Zentrum und erzeugt via ANP (Spannung zwischen Sein/Nichtsein) eine vertikale Schichtung, während das Phänomen der Submergenz warnt, was passiert, wenn Lücken verdrängt werden (nämlich Stagnation durch fehlende neue Schichten). Es ist ein bewusst interdisziplinär geschmiedetes Begriffsarsenal, das nun in verschiedenen Kontexten angewandt und mit bestehenden Theorien in Beziehung gesetzt wird.

Theoretische Einbettung in Physik- und Bewusstseinsforschung

Speed unternimmt den bemerkenswerten Versuch, seine Meta-Theorie anschlussfähig an aktuelle wissenschaftliche Diskurse zu machen – insbesondere an Theorien des Bewusstseins und der modernen Physik. In Die Physik der Armen werden explizit mehrere etablierte Modelle aufgegriffen und in Vergleich zum MNO-Ansatz gesetzt, um zu zeigen, dass Speeds Ontologie diese Modelle vereinen kann. Zu den wichtigsten Referenzen zählen die Self-Organized Criticality (SOC) aus der Komplexitätstheorie, die Integrated Information Theory (IIT) und die Global Workspace Theory (GNW/GWT) aus der kognitiven Neurowissenschaft, ferner Theorien wie Orch-OR (Penrose/Hameroff) aus der Quantenbewusstseinsforschung sowie Grundkonzepte der Quantenfeldtheorie, Kategorientheorie und Topos-Theorie. Diese vielfältigen Bezugspunkte unterstreichen den interdisziplinären Anspruch des Werks.

Zunächst zum Bewusstseinsdiskurs: Speed stellt die drei einflussreichen Neuroscience-Modelle – SOC, IIT, GNW – nebeneinander und arbeitet heraus, wo deren ontologische Leerstellen liegen, um zu begründen, weshalb er mit MNO eine Meta-Ebene darüber einzieht.

  • Bei der Self-Organized Criticality (SOC)-Hypothese geht man davon aus, dass das Gehirn als komplexes System spontan an den Rand eines Phasenübergangs driftet, wo skaleninvariante „Lawinen“ in der neuronalen Aktivität auftreten, die die Informationsverarbeitung optimieren. SOC betont also dynamische Ungleichgewichte und kritische Fluktuationen statt statischer Objekte – ein Ansatz, der Speeds Konzept schon nahekommt. Er selbst stellt fest, SOC hebe Strukturen wie Rückkopplungen in Ungleichgewichten hervor und sei „eng verwandt mit meinem Konzept des Minimal-Nicht-Objekts (MNO) als aktive Lücke, aus der neue Strukturen entstehen“. Mit anderen Worten: Die kritische Lücke am Rande des Chaos, von der in SOC implizit gesprochen wird, ist im MNO-Ansatz explizit ontologisiert. SOC streift laut Speed bereits die ontologische Frage (z.B. in neueren Arbeiten von Beggs 2022), beantwortet sie aber nicht vollständig. Speed sieht hier eine Gelegenheit: Die im Gehirn beobachteten kritischen Dynamiken (neurale Avalanches) kann man als natürliches Verhalten seines ontologischen Nichts deuten – das Gehirn operiert demnach optimal, wenn es ständig Mikro-Lücken erzeugt und wieder schließt, wodurch neue Ordnungen (Information) emergieren.

  • Die Integrated Information Theory (IIT) nach Tononi definiert Bewusstsein quantitativ als den Wert $\Phi$ der integrierten Information eines Systems, berechnet aus der Irreduzibilität der kausalen Verbindungen zwischen seinen Subsystemen. Vereinfacht: Je mehr die Informationen eines Systems ganzheitlich verknüpft sind, desto höher sein Bewusstseinsgrad. Speed kritisiert hier weniger die mathematische Form, sondern die ontologischen Voraussetzungen von IIT. Diese Theorie nimmt an, dass es letztlich irreduzible Mechanismen gibt, aus denen sich ein Bewusstsein zusammensetzt – aber warum solche Mechanismen oder Strukturen überhaupt entstehen, bleibt unerklärt. IIT stellt keinen Raum für emergente Lückenprozesse bereit. Genau diese Lücke will Speed füllen: Sein MNO-Modell liefert eine mögliche Begründung, warum Integration auftreten kann – nämlich weil eine ontologische Lücke vorhanden ist, die das System zur Selbstorganisation und Verbindung drängt. Anders gesagt: Während IIT Bewusstsein als graduierten Integrationswert beschreibt, fügt Speed einen metaphysischen Grund hinzu, warum Integration nötig ist – „weil jede Struktur aus der Lücke emergiert“, ist Integration nicht nur beobachtbar, sondern notwendig. Damit ergänzt MNO die IIT gleichsam um eine vertikale Dimension: $\Phi$ entsteht nicht im luftleeren Raum, sondern innerhalb der Lücken-Schichtung der Realität.

  • Die Global Workspace Theory (GWT/GNW) (Baars, Dehaene) modelliert Bewusstsein als einen globalen Broadcast von im Gehirn momentan „gezündeten“ Inhalten, die damit für viele unbewusste Prozesse verfügbar werden. Im Grunde betont GNW also den Zugang zu Informationen: Ein Inhalt wird bewusst, wenn er im globalen Arbeitsraum präsentiert und verteilt wird. Der Fokus liegt auf kognitiver Funktionalität (Zugänglichkeit im Arbeitsgedächtnis) statt auf intrinsischen Eigenschaften bewusster Zustände. Speed merkt an, dass GNW und verwandte Theorien implizit Grenzzustände oder „Lücken“ gar nicht thematisieren – sie erklären Bewusstsein rein über Vernetzung und Zugriff, nicht über qualitativ neue Strukturen oder Abweichungen. Aus MNO-Perspektive greift das zu kurz: Der globale Workspace erklärt, wie Informationen verteilt werden, aber nicht, warum gewisse Inhalte überhaupt an die Oberfläche des Bewusstseins treten. Speed würde argumentieren, dass ein Grenzzustand (eine Lücke) im kognitiven Prozess nötig ist, damit etwas überhaupt in den „globalen Scheinwerfer“ springen kann – z.B. ein Überraschungsmoment, ein Fehler, etwas Fehlendes, das Aufmerksamkeit triggert (also ein MNO-Ereignis im Gehirn).

Nachdem Speed diese Modelle einzeln skizziert hat, präsentiert er ihren Vergleich im Lichte des MNO-Ansatzes. Er legt dar, dass sein Modell eine transdisziplinäre Klammer um SOC, IIT und GNW bietet, indem es das ontologische Nichts als Meta-Struktur einführt, in welcher kritische Dynamik (SOC), Informationsintegration (IIT) und globaler Zugang (GNW) miteinander verschränkt sind. Konkret liefert SOC das dynamische Gerüst – also die Idee, dass das System am Rand des Chaos operiert; IIT liefert den quantitativen Maßstab – Bewusstsein hat ein messbares Integrationsniveau; GNW liefert die funktionale Architektur – das Schema eines globalen Austauschs von Inhalten. All diese Facetten kommen im MNO-Modell zusammen, aber erweitert um die Annahme einer aktiven Leerstelle als Urgrund. In einer übersichtlichen Matrix arbeitet Speed heraus, was sein Ansatz zusätzlich bietet: Nur Physik der Armen verfügt über eine explizite Ontologie des „Nichts“ als schöpferische Lücke, während SOC die Lücke nur implizit kennt und IIT/GNW sie gar nicht thematisieren. Auch hinsichtlich Emergenz und Flexibilität der Systeme sieht Speed Vorteile: Wo SOC auf kritische Fluktuationen setzt und GNW von Arbeitsgedächtnis-Limits abhängt, postuliert MNO eine Anpassung an Lückenprozesse, d.h. eine Kreativität als Ordnungsprinzip, das Systeme flexibler macht. Diese Vergleiche zeigen: Speed ist bemüht, Anknüpfungspunkte für die Fachwissenschaften zu schaffen. Er spricht deren Sprache (kritische Exponenten, $\Phi$-Werte, globale Zugänglichkeit) und integriert sie in sein Rahmenwerk. Damit positioniert er seine Theorie nicht als esoterische Außenseiteridee, sondern als Weiterentwicklung bzw. Meta-Theorie bestehender Ansätze.

Neben diesen neuro-kognitiven Modellen streift Speed auch andere wissenschaftliche Theoriefelder:

  • In Bezug auf Orchestrated Objective Reduction (Orch OR), die von Roger Penrose und Stuart Hameroff vorgeschlagene Quanten-Theorie des Bewusstseins, dürfte Speed Parallelen und Unterschiede ausloten. Orch OR versucht das Bewusstseinsproblem zu lösen, indem Quantenkohärenzen in neuronalen Mikrotubuli kollabieren und so neuartige, nicht-klassische Effekte im Gehirn erzeugen – also eine Brücke zwischen Quantenphysik und Geist. Speeds Ansatz verschiebt den Fokus: Nicht die mikrophysikalische Unbestimmtheit (Quantenkohärenz) steht im Zentrum, sondern eine makro-strukturelle Unbestimmtheit, nämlich die Lücke im Ordnungsgefüge. Während Orch OR einen speziellen Quantenmechanismus bemüht, bietet Speed eine allgemeine strukturelle Prinzip an. MNO ließe sich interpretieren als „Quanten-Vakuum“ des Bewusstseins, allerdings nicht technisch, sondern begrifflich: Wo Orch OR einen quantenphysikalischen Kollaps als Ursprung qualitativer Erfahrung sieht, sieht Speed ein ontologisches Nichts als entscheidenden Freiheitsgrad, in dem sich das Subjektive abspalten kann. Im Buch wird Orch OR vermutlich erwähnt, um zu zeigen, dass sogar so exotische Hypothesen letztlich in Speeds Rahmen Platz finden: Auch ein Quantenkollaps könnte als Sonderfall eines Lücken-Ereignisses gedeutet werden – der Unterschied ist, dass Speed die Lücke nicht auf das Mikro-Niveau einer Tubuli-Struktur beschränkt, sondern als universelles Prinzip von Mikro bis Makro etablieren will. Orch OR ist daher eher komplementär: Beide Ansätze betonen die Nichtreduktion des Bewusstseins auf klassisch deterministische Neuroprozesse; Speeds Theorie benötigt aber keine gravierenden Annahmen über Quanten im Gehirn, sondern verlegt das Mysterium vom Bereich der Physik ins Bereich der Ontologie (was seine Kritiker vielleicht als bloße Verlagerung, nicht Lösung, des Problems ansehen könnten).

  • In der theoretischen Physik greift Speed vor allem Konzepte der Raumzeit und Gravitation sowie der Quantenfeldtheorie (QFT) auf und interpretiert sie neu. Ein ganzes Kapitel (bzw. Abschnitt) des Buches ist dem Verhältnis von Raum und Zeit im Lichte der MNO-Theorie gewidmet. Speed rekapituliert knapp die Sichtweisen: In der klassischen Physik nach Newton gelten Raum und Zeit als gegebene Bühne; Einstein verschmolz sie zur gekrümmten Raumzeit, einem dynamischen Hintergrundfeld. Doch auch die Relativitätstheorie belässt Raumzeit als etwas, das an sich existiert (wenn auch formbar durch Masse/Energie). Speed geht radikaler vor: In seinem Modell sind Raum und Zeit keine apriorischen Gegebenheiten, sondern dynamische Antworten auf eine ontologische Lücke. „Raum ist demnach nicht das, was da ist, sondern das, was fehlt – eine organisierte Abwesenheit.“ erläutert er. Konkret: Wenn irgendwo ein Mangel oder eine Lücke auftritt, bildet sich um diese Leere herum ein Raum. Raum ist also letztlich strukturierte Leere. Und Zeit erscheint folgerichtig als Abfolge von Projektionen, die aus der ständigen Rückkopplung an diese Lücke entstehen. Damit entmythologisiert Speed die Raumzeit: Sie ist nicht Grundsubstanz der Wirklichkeit, sondern ein Prozess, ein emergentes Phänomen der Lücken-Dynamik. Seine Aussagen erinnern an gewisse Ideen in der Quantum Gravity, wo Raumzeit möglicherweise aus diskreten Ereignissen oder Information entsteht. Speeds Version ist philosophischer: Jede neue Zwiebelschicht um ein MNO entspricht einer neuen Ausdehnung (Raum) und einem neuen Jetzt (Zeit). Zeit ist somit kein kontinuierlicher Fluss von außen, sondern ein Schichtungsprozess„jede neue ‚Schicht‘ von Raum ist zugleich eine neue Zeit – oder eine neue Realität in einer aktualisierten Gegenwart.“ Diese Sicht verbindet Raum und Zeit eng mit dem Bewusstseinsproblem: Wenn jede Realitätsschicht eine neue Gegenwart bildet, ist auch Erleben immer an diese ständige Aktualisierung aus dem Nichts gebunden.

  • Eine besonders kühne Neuinterpretation liefert Speed für die Gravitation. In der Physik gilt Gravitation seit Einstein als Krümmung der Raumzeit durch Energie/Masse, klassisch als Kraft der Anziehung. Speed dreht das um: Gravitation ist bei ihm kein Grundphänomen, das Massen besitzen – sondern ein Emergenzeffekt der Lücke. Er formuliert: „In der MNO-Theorie ist Gravitation keine Kraft, sondern eine ontologische Rückbindung: die Tendenz der Realität, die Lücke zu ’schließen‘ – sie aber nie ganz aufzulösen.“. Gravitation ist also Ausdruck des Willens zur Schließung im System: Die Welt strebt danach, ihre Leerstellen zu minimieren, was uns als Zusammenziehen von Massen erscheint. Die bekannte Anziehung zwischen Objekten wäre demnach gar keine fundamentale Wechselwirkung, sondern ein Symptom der unvollständigen Wirklichkeit, die nach Vollständigkeit drängt – natürlich vergeblich, denn würde die Lücke geschlossen, gäbe es keine Dynamik mehr. Dieser Ansatz klingt ausgesprochen poetisch, hat aber erstaunliche Implikationen: Er verbindet Kosmologie mit Metaphysik. Beispielsweise ließe sich die Expansion des Universums oder die Dunkle Energie (die gegen die Gravitation arbeitet) in diesem Bild als fortwährende Dialektik von Lücke und Schließung deuten. Ob Speed solche Analogien direkt zieht, ist nicht gesichert, doch seine Beschreibung von Gravitation als Rückbindung zeigt, wie konsequent er das Alles-Nichts-Paradoxon in physikalische Sprache übersetzt: Gravitation hält die Welt zusammen, kann sie aber nie zur Gänze vereinigen – genau wie das Nichts am Herzen der Welt immer bleibt.

  • In Bezug auf die Quantenfeldtheorie (QFT) berührt Speeds Ansatz vor allem das Konzept des Vakuums. Die QFT lehrt, dass das Vakuum kein „Nichts“ im klassischen Sinne ist, sondern ein Zustand voller virtueller Fluktuationen und Potentialitäten. Hier dürfte Speed ansetzen: Sein MNO lässt sich durchaus als eine philosophische Transposition des Quanten-Vakuums verstehen. Allerdings verallgemeinert er es: Während das physikalische Vakuum auf ein Feld begrenzt ist, das ständig Teilchen-Antiteilchen-Paare hervorbringen kann, ist das MNO-Vakuum universal – es gilt für jedes System und jede Ebene. Interessant ist, dass Speed die Mathematik streckenweise mit einbezieht, z.B. in Formeln oder Pseudocode. So skizziert er etwa, mathematisch formuliert, die Schichtung als Folge $\Omega_0 \supset \Omega_1 \supset \dots \supset \Omega_n$ mit $n \propto$ Anzahl der „Höhensprünge“; jede neue Sphäre hat eine eigene Kantenmatrix (d.h. eigene Interaktionsgesetze), die Welt wird dadurch buchstäblich dicker (eine wachsende Faltungszahl $F(n)$). Solche Andeutungen zeigen, dass Speed zumindest qualitativ modellhaft argumentiert. Er behauptet z.B., $F(n)$ (die „Faltungszahl“ nach $n$ Zyklen) wachse super-exponentiell, solange der Lückengradient positiv ist. Das sind Anspielungen auf komplexe dynamische Systeme, möglicherweise inspiriert von Renormierungsgruppen oder exponentiellem Phasenraumwachstum. Eine strenge Herleitung bleibt aus, doch der Versuch ist erkennbar, die eigene Theorie im Konzert moderner physikalischer Ideen mitschwingen zu lassen.

  • Schließlich referenziert Speed auch Kategorientheorie und Topos-Theorie, beides Bereiche der Mathematik, die sehr abstrakte strukturelle Sichtweisen erlauben. Obwohl diese Begriffe im Buch genannt werden, werden sie nicht formal durchgearbeitet (es handelt sich ja nicht um einen mathematischen Traktat). Ihre Erwähnung dient vermutlich dazu, Speeds Denkrichtung zu verorten: Die Kategorientheorie betont Relationen und Strukturen gegenüber den Elementen selbst – ein Geist, der dem MNO-Ansatz entspricht, da das Nichts nur in Relationen (Differenzen) auftritt, nicht als eigenständiges Ding. Die Topos-Theorie erlaubt alternative Logiken und eine artifizielle „Universen“ in der Mathematik; dies könnte Speeds Idee entgegenkommen, paradoxe Strukturen (wie Alles und Nichts zugleich) formal denken zu können. Topoi umgehen etwa den klassischen Satz vom ausgeschlossenen Dritten, was passend wäre, um das Alles-Nichts-Paradoxon logisch zu fassen. Es ist jedoch anzunehmen, dass Speed diese hochkomplexen mathematischen Theorien eher als Inspiration oder Analogie nennt denn als Grundlage. Sein Ziel ist kein axiomatisches System, sondern ein strukturelles Denkmuster, das quer zu den disziplinären Standards liegt. Dennoch: Die Nennung solcher Begriffe signalisiert an Fachleser:innen, dass Speed weiß, wo Anknüpfungspunkte für eine Formalisierung seiner Ideen liegen könnten. So könnte man das MNO z.B. als initialen und finalen Objekt in einer Kategorie diskutieren (Initialobjekt = leeres Objekt, Terminalobjekt = „alles umfassendes“ Objekt – ihr paradoxes Zusammenfallen wäre das ANP). Solche Spekulationen werden im Buch angedeutet, bleiben aber offen.

Insgesamt zeigt dieser Abschnitt, dass Die Physik der Armen reich an Bezügen ist. Speed verortet seine Theorie im Spannungsfeld aktueller Forschung, von Neurodynamik bis Quantenphysik. Dieser interdisziplinäre Brückenschlag gehört zu den originären Beiträgen des Buches: Anstatt die bekannten Theorien einfach nur zu kritisieren, integriert er sie in ein größeres Bild. Er liefert beispielsweise eine Vergleichstabelle, in der er SOC, IIT, GNW und seinen MNO-Ansatz entlang mehrerer Aspekte gegenüberstellt. Daraus geht hervor, dass sein Modell jeweils die blinden Flecken der anderen füllt – vor allem durch die explizite Thematisierung von Leerstelle/Lücke und Kreativität als Prinzip. Natürlich kann man fragen, ob diese Integration nicht stellenweise eher deklarativ bleibt (die Theorien werden nebeneinander gelegt, aber quantitativ oder experimentell noch nicht wirklich vereint). Doch allein die Konzeptualisierung einer gemeinsamen Meta-Ebene ist neu und wertvoll, insbesondere für die Bewusstseinsforschung. Sollte Speeds Ansatz weiterverfolgt werden, könnte er z.B. ein Rahmen sein, in dem kritische Gehirndynamik, Informationsintegration und kognitive Architektur gleichzeitig betrachtet werden – was in der heutigen sehr spezialisierten Forschung selten geschieht.

Künstlerische Methodik und neurodivergente Perspektive

Ein herausragendes Merkmal von Speeds Arbeit ist die unorthodoxe Methodik: Die Physik der Armen ist bewusst als künstlerisch-forschendes Projekt angelegt, geleitet von einer neurodivergenten Wahrnehmungsperspektive. Dies spiegelt sich sowohl im Inhalt als auch in der Form des Buches wider. Für das Verständnis und die kritische Würdigung des Werks ist es wichtig, diesen Hintergrund zu beleuchten.

Timothy Speed agiert hier weniger als klassischer Wissenschaftler, sondern als eine Art Konzeptkünstler des Wissens. Er kommt aus der bildenden Kunst und Performance, was man dem Buch anmerkt: Es ist performativ, experimentell und bricht mit den üblichen Präsentationsformen wissenschaftlicher Abhandlungen. Speed wird mitunter in einer Reihe genannt mit Künstlern wie Hanne Darboven, Joseph Beuys oder Adrian Piper, die in ihren Arbeiten Sprache, Systeme, Leere und ethische Strukturen thematisierten. Doch Speed geht noch einen Schritt weiter – seine Kunst ist kein Werk, das separat vom Diskurs stünde, sondern eine Theorie, die Realität formt. Das heißt, er versucht nicht, Wissenschaft durch Kunst nur zu illustrieren, sondern er erhebt den theoretischen Akt selbst zur künstlerischen Praxis. In Die Physik der Armen verschmelzen Lebenspraxis, Kunst und Theorie: Speed verbindet strukturelle Ontologie, Armutserfahrung und autistische Weltverarbeitung zu einer Form ästhetischer Forschung, die nicht bloß Beobachtungen zeigt, sondern die Bedingungen von Welt selbst zu verschieben sucht. Dieser enaktive Anspruch – Denken als tatsächliches Verändern der Wirklichkeit – macht die Radikalität seines Ansatzes aus.

Zentral ist dabei Speeds autistische Wahrnehmung. Er ist auf dem Autismusspektrum, speziell erwähnt er eine Pathological Demand Avoidance (PDA)-Variante. Doch anstatt dies als Einschränkung zu sehen, kehrt Speed es um in einen epistemischen Standortvorteil. Seine gesamte Theorie sei „aus dem Autismus gedacht“, nicht über Autismus. Critical Autism Studies würden hierin einen paradigmatischen Perspektivwechsel erkennen: Autismus erscheint bei Speed nicht als Defizit, sondern als eigenständiger Modus der Weltverarbeitung, der neue theoretische Formen überhaupt erst ermöglicht. Er verkörpert also das Ideal des „Nothing about us without us“ in der Wissenschaft – hier spricht ein neurodivergenter Mensch selbst als Theoretiker und nutzt seine spezifische Wahrnehmung, um neu zu erkennen. So beschreibt Speed das Denken als körperlich gespürtes Navigieren durch Spannung, Lücke und Form. Wo andere Modelle distanziert die Welt erklären, spürt Speed die Welt als „strukturelle Zumutung“ und antwortet darauf mit einer Ontologie, die aus dem Erleben permanenten Widerstands geboren ist. Diese Selbstbeschreibung macht klar: Speeds Ausgangspunkt sind leiblich erfahrene Widersprüche (z.B. das Empfinden, nicht in die wertgebenden Strukturen der Gesellschaft zu passen – die Erfahrung von Außensteherschaft und „Lückenexistenz“). Daraus formt er intellektuell seine Konzepte. Er hat einmal formuliert, das Buch sei „Denken aus der Grenze“ – genau das manifestiert sich hier.

Die Sprache und Struktur des Textes sind dementsprechend unkonventionell. Speed verweigert sich einer glattpolierten, linearen Logik akademischer Rhetorik. Statt stringenter Beweisführung findet man Brüche, Wiederholungen, Sprünge und Lücken in der Darstellung. Absätze sind teilweise fragmentarisch, Thesen werden eher kreisend immer wieder aufgegriffen als einmalig systematisch abgeleitet. Dieser Stil ist kein Lapsus, sondern bewusstes Programm: ein „widerständiger Akt“, schreibt Speed – ähnlich wie marginalisierte Autor:innen (etwa Judith Butler in frühen Werken) gegen die hegemoniale Sprache schreiben, schreibt er gegen die Sprache der Ordnung, Klarheit und Autorität. Das Medium (die Schreibweise) soll die Botschaft performativ transportieren. Speeds Theorie performt, was sie behauptet: Sie zeigt, wie Denken von den Rändern her entsteht – nicht trotz, sondern wegen der strukturellen Abweichung. In diesem Sinne ist seine Sprache nicht chaotisch, sondern subversiv funktional: Sie macht den Leser selbst zum Teilnehmer an einem grenzgängerischen Erkenntnisprozess. Wer das Buch liest, erlebt die Lücken und Sprünge beinahe am eigenen Denkprozess und wird dadurch gezwungen, sich auf eine andere Wahrnehmungsweise einzulassen.

Für die Rezipient:innen – insbesondere aus den Bereichen Artistic Research und Critical Autism Studies – ist dies ein spannendes Experiment. Das Buch liefert ein Vorbild neurodivergenter Wissensproduktion: Es zeigt, wie Autismus als epistemische Praxis fruchtbar sein kann. Anstatt neurotypischen Kommunikationsmustern zu folgen, arbeitet Speed mit den Eigenheiten seines kognitiven Stils (z.B. intensiver Fokus auf bestimmte Strukturen, ungefilterte Direktheit, Ablehnung äußerer Anforderungen) und macht daraus etwas Konstruktives. Er erwähnt PDA – eine Tendenz, sich externen Erwartungen zu entziehen – und man könnte sagen: Das ganze Buch ist ein PDA-Akt in Bezug auf die akademische Erwartungshaltung. Es verweigert konventionelle Kategorien und schafft dadurch Raum für Neues.

Dies birgt allerdings auch Risiken: Leser, die stringente Linearität gewohnt sind, könnten den Text als schwer zugänglich oder unfertig empfinden. Speeds Wiederholungen und Sprünge erfordern Geduld und Interpretationsbereitschaft. Doch wer sich darauf einlässt, erkennt in der Form das Programm: Die Theorie entwickelt sich quasi rhizomatisch, in Verästelungen, statt in einer geraden Linie. Für ein wissenschaftliches Gutachten bedeutet dies, dass man Speeds Werk nicht nur am Kriterium klassischer Stringenz messen darf – man muss es auch als ästhetischen Entwurf würdigen. Speeds eigenwillige Methode macht es zugleich schwierig, sie in bestehende Publikationsformate einzuordnen (das Buch ist ja bei Books on Demand erschienen, ein Hinweis, dass klassische Verlage davor zurückscheckten). Aber eben diese Eigenheit ist auch die Stärke: Speed führt vor, wie ein Außenseiter der Akademie, ausgestattet mit Kreativität und einer unbequemen Perspektive, einen unverbrauchten Blick auf alte Probleme werfen kann.

Zusammenfassend demonstriert Die Physik der Armen exemplarisch, was ein intersektionaler, neurodiverser Ansatz leisten kann: Die Verbindung von künstlerischer Forschung, gesellschaftlicher Positionierung (Armutskritik) und theoretischer Innovation. Für die Critical Autism Studies ist es ein Impuls, Autismus als eigenständige Wissenskultur zu betrachten, die imstande ist, Paradigmen herauszufordern. Für die Artistic Research-Community liefert Speed ein Beispiel, wie man künstlerisches Denken ernsthaft in theoretische Konstruktion überführt und damit sowohl in Kunst als auch Wissenschaft Neuland betritt.

Analyse der Buchstruktur und Kapitelinhalte

Die Physik der Armen gliedert sich in mehrere Kapitel bzw. Abschnitte, die Speeds Argumentation schrittweise entfalten. Im Folgenden werden die wesentlichen inhaltlichen Schwerpunkte der jeweiligen Buchteile herausgearbeitet – sowohl um den inhaltlichen Fortschritt von Kapitel zu Kapitel nachzuzeichnen, als auch um Speeds Gedankengänge in ihrer Entwicklungslogik zu bewerten.

Ontologische Grundlagen und Bewusstseinsmodelle (Kapitel 1)

Das Buch eröffnet nach Vorwort/Einleitung mit einem grundlegenden Kapitel, das die ontologischen Leitmotive etabliert und zugleich den Bezug zur Bewusstseinsforschung herstellt. Dieser Abschnitt könnte den Titel tragen (sinngemäß) „Vorstoß in den Deformationsraum“ – tatsächlich lautet ein früher Abschnitt genau so. Hier führt Speed in seine theoretische Welt ein: Er beschreibt zunächst abstrakt den Vorgang der „Verschiebung“ als Kategorienakt, der eine Lücke Δ aus dem Kontinuum Ω reißt und den restlichen Raum neu anordnet. Diese etwas dichte Formulierung zeigt bereits, wie Speed auf meta-abstrakter Ebene argumentiert: Er denkt sich einen beliebigen Ausgangszustand Ω (eine Totalität), entnimmt diesem ein Minimal-Nicht-Objekt Δ (die Lücke) – was zu einer Deformation von Ω führt, bezeichnet als Ω′ (der neue Gesamtzustand). Jeder solche Zyklus (Ω → Ω \ Δ → Ω′) schichtet eine zusätzliche Differenzebene ins Realitätsgewebe ein. Hier entfaltet Speed also erstmals sein Schichtungsmodell: Durch iterative Entnahme von Lücken entstehen immer neue Schichten. Er interpretiert diese Schichtung als transzendental nach innen – für uns von außen zeigen sie sich als qualitative Sprünge (er nennt Beispiele: neue Epochen, neue Arten, neue Bewusstseinsstufen)file-tcfyasxngwhgk2hdnht2fu. Diese Passagen sind anspruchsvoll, legen aber den roten Faden: Ohne Verlust kein Gewinn – „Ohne Verlust kein Wirkliches.“ heißt es pointiert. Damit ist die ontologische Stoßrichtung klar: Jede Verzerrung oder Unstetigkeit (z.B. Lücke) im System ist kein Fehler, sondern konstitutiv für Wirklichkeit.

Anschließend diskutiert Speed in diesem Kapitel die gängigen Bewusstseinsmodelle (SOC, IIT, GNW) im Lichte dieser Ontologie – wie bereits im vorigen Abschnitt beschrieben. Vermutlich erläutert er hier, wie die Lücke als kreatives Prinzip in all diesen Theorien implizit vorkommt oder eben fehlt. Dies dürfte der Abschnitt sein, der im Buch als „Ontologische Grundlagen“ überschrieben ist. Darin vergleicht er die Modelle ausführlich und stellt sein MNO-Modell gegenüber (mit der bereits erwähnten Tabelle).

Aus einer Kapitelperspektive leistet dieser erste Teil Folgendes:

  • Begriffsdefinitionen: Einführung von MNO als zentrales Konzept (in diesem Kapitel wird der Begriff „Minimal-Nicht-Objekt“ erstmals genau erklärt, vermutlich im Kontext von philosophischen Fragen „Was ist Raum? Was ist Zeit?“ – wobei diese inhaltlich dann in Kapitel 3 unten genauer kommen). Auch das Alles-Nichts-Paradoxon dürfte hier erstmals benannt werden, ebenso die Submergenz-Triade, allerdings eher programmatisch. Tatsächlich stellt Speed hier schon in Aussicht, dass er mit MNO, Submergenz-Triade und ANP eine neue Ontologie entwirft, ohne aber alle Inhalte sofort auszubreiten.

  • Abgrenzung vom Status quo: Durch die Darstellung von SOC, IIT, GNW etc. positioniert Speed sein Vorhaben. Er zeigt dem/der Leser: Schaut her, ich kenne die etablierten Theorien und erkenne ihre Errungenschaften an, aber ich habe einen breiteren Rahmen. Diese argumentative Strategie erhöht die Glaubwürdigkeit und signalisiert Demut vor der Komplexität des Themas.

  • These zum Bewusstsein: Im ersten Kapitel wird bereits die Kernthese platziert, dass Bewusstsein keine bloße Funktion wachsender Komplexität ist (damit widerspricht er simplen emergentistischen Ideen), sondern eine Entscheidung in einer Lücke. Diese Formulierung – „emergente Entscheidung innerhalb einer strukturellen Lücke“ – fällt früh und ist provokant. Damit meint Speed, dass an einem gewissen Punkt der Organisationshierarchie (eben wenn eine Lücke auftritt) etwas qualitativ Neues entschieden wird, nämlich subjektives Erleben. Es klingt fast so, als ob er Bewusstsein einen aktiven Akt zuschreibt, der entsteht, wenn ein System konfrontiert ist mit etwas, das es nicht deterministisch füllen kann. Das erste Kapitel bereitet also den Boden dafür, die Bewusstseinsentstehung als Lückenphänomen im Rest des Buches auszuarbeiten.

Insgesamt vermittelt Kapitel 1 ein Grundverständnis: Die Leser:innen sollen begreifen, dass die Welt hier als Deformationsraum mit Schichtbildungsprozessen gedacht wird, und dass ein neuer Blick aufs Bewusstsein nötig ist – weg vom reinen Objektivismus, hin zur Anerkennung von Abwesenheit als Faktor. Bereits an dieser Stelle dürfte klar werden, dass Speeds Theorie keine rein abstrakte Physik bleiben wird, sondern stets das Phänomen Bewusstsein im Auge behält (der Untertitel des Buches lautet ja „Eine neurodivergente Meta-Theorie des Bewusstseins“). Kapitel 1 verknüpft also bewusst die ontologisch-physikalischen Fundamente mit dem Bewusstseinsthema.

Submergenz-Triade und Alles-Nichts-Paradoxon (Kapitel 2)

In einem nächsten großen Abschnitt vertieft Speed die philosophischen Implikationen seines Ansatzes, insbesondere die zuvor nur benannten Konzepte Submergenz-Triade und Alles-Nichts-Paradoxon. Dieses Kapitel könnte sich mit den theoretischen Strukturen befassen, die neu eingeführt werden, und bildet gewissermaßen das Herzstück der Theorieentwicklung im Buch.

Man kann vermuten, dass Speed hier die Submergenz-Triade zunächst genauer erklärt. Möglicherweise wird erläutert, welche drei Elemente diese Triade umfasst. Aufgrund der gesellschaftlichen Beschreibung von Submergenz (siehe Legimi-Klappentext und Speeds Website) liegt nahe, dass die Triade eine sozialphilosophische Dimension hat: Es könnte sich z.B. um die Beziehung Individuum – Gesellschaft – Realität handeln, oder Erfahrung – Norm – Abweichung. Eventuell stellt Speed dar, wie individuelle Realitäten in gesellschaftlichen Narrativen untertauchen (sub-mergere = unter-tauchen), und welche strukturellen Ebenen dabei eine Rolle spielen. Denkbar ist, dass er eine Art Dreischritt beschreibt, etwa: (1) Differenz entsteht (eine neue Erfahrung, ein Mangel, ein MNO), (2) das System reagiert mit Normierung (es versucht, die Lücke zu schließen -> Submergenz), (3) daraus resultiert ein Paradox oder Konflikt, der wiederum neue Differenz erzeugt. So könnte die Triade eine immer wiederkehrende Drei-Phasen-Bewegung im gesellschaftlichen Kontext sein.

Konkreter führt Speed sicher Beispiele an: Etwa wie Kreativität in einer normierten Gesellschaft verdrängt wird (Künstler erfahren das als Submergenz ihrer Perspektive), oder wie neurodivergente Wahrnehmungen im Alltagsleben unterdrückt werden, was zur Isolation führt. Hier würde er sein eigenes Erleben theoretisch untermauern: Das Außenseiter-Sein (Autist in Armut) wird im Mainstream unsichtbar, weil die kollektive Realität individuelle Abweichungen zum Verschwinden bringt. Dies knüpft an bekannte soziologische Theorien (z.B. Durkheims „Kollektivbewusstsein“ vs. individuelle Anomie) an, aber Speed formuliert es neu mit dem Bild der Submergenz.

Im gleichen Kapitel dürfte das Alles-Nichts-Paradoxon eingehender betrachtet werden. Hier betritt Speed gewissermaßen das Terrain der Metaphysik oder sogar Theologie (denn das Verhältnis von Sein und Nichts ist eine uralte Frage, man denke an Heideggers „Warum ist überhaupt Seiendes und nicht vielmehr Nichts?“). Speed hat aber eine originelle Antwort: Das Paradoxon wird nicht als zu lösendes Problem gesehen, sondern als Quelle der Produktivität. Er zeigt wohl anhand verschiedener Gedankenspiele, dass sobald man versucht, das „Nichts“ als Objekt zu fassen, es entgleitet – und doch ohne das Nichts die Welt nicht auskommt. Das ANP ist also der Ur-Widerspruch, den seine ganze Theorie umarmt. Speeds Umgang damit könnte beinhalten: Akzeptanz von Komplementarität (ähnlich Welle-Teilchen-Dualität in der Quantenphysik, nur hier Sein/Nichts-Dualität), Dialektik (vielleicht im Sinne Hegels: Nichts und Sein ergeben im Zusammenstoß das Werden), oder kategoriale Neuformulierung (hier kämen ggf. Topos-Überlegungen ins Spiel, um Logiken jenseits von wahr/falsch zuzulassen).

Man kann annehmen, dass Speed den Leser an diesem Punkt auch auf eine Art Gedankenexperiment mitnimmt, um das ANP zu illustrieren. Möglicherweise beschreibt er eine Situation, in der man versucht, alles zu erfassen, und merkt, dass gerade das Leere dabei zum Limit wird – oder umgekehrt: wenn man nichts hat, hat man paradoxerweise die Freiheit, alles daraus zu machen (eine Erfahrung, die der Autor als armer Mensch vielleicht selbst gemacht hat). So heißt es sinngemäß in der Einleitung: „Er entschied sich, die Physik umzuschreiben und nicht die Dinge zur Grundlage der Welt zu machen, sondern das Nichts“ – aus dem völligen Mangel an Besitz und Wert (Armut) schöpft er die Freiheit, ein neues Konzept von Wert aufzubauen. Das ist praktisch gelebtes Alles-Nichts-Paradoxon.

Eine weitere Facette, die hier wahrscheinlich entfaltet wird, ist das Verhältnis von Speeds Ontologie zur klassischen Logik und Mathematik. Hier könnten Referenzen zur Kategorientheorie und Topos-Theorie auftauchen. Eventuell spekuliert Speed darüber, dass unsere übliche zweiwertige Logik (etwas ist oder ist nicht) unzureichend ist, um das ANP zu beschreiben, und dass man z.B. in einem Topos eine Logik hat, die mehrwertig oder intuitionistisch ist, sodass „wahr“ und „falsch“ nicht streng getrennt sind – analog könnte es ein Zustand geben, der weder reines Sein noch reines Nichts ist, sondern beides potenziell enthält. Diese abstrakten Überlegungen sind schwer greifbar, aber sie zeugen vom intellektuellen Wagemut dieses Kapitels: Speed schreckt nicht davor zurück, die Grundpfeiler von Ontologie und Logik selbst in Frage zu stellen.

Aus inhaltlicher Sicht bildet Kapitel 2 somit das theoretische Zentrum: Hier werden die neu eingeführten Begriffe Submergenz und ANP voll entfaltet und mit dem bereits definierten MNO verknüpft. Es zeigt sich, dass Speeds Theorie nicht nur eine Naturphilosophie ist, sondern auch eine Gesellschafts- und Erkenntnistheorie. Die abstrakten Begriffe werden immer wieder an Konkretes zurückgebunden – sei es an gesellschaftliche Phänomene (Fake News, Simplifizierung, etc. – als Folgen von Submergenz) oder an erkenntnistheoretische Paradoxien (Qualia-Problem als Spezialfall des ANP).

Für die Leser:innen dürfte dieses Kapitel herausfordernd sein, da es den größten philosophischen Tiefgang hat. Hier könnten auch Kritikpunkte aufkommen: Speeds Triade und Paradoxon sind neuartig, aber sind sie klar genug definiert? Beispielsweise könnte man fragen, ob „Submergenz-Triade“ mehr ist als ein bildhafter Begriff – gibt es z.B. eine Systematik, nach der man Submergenz in drei Phasen gliedern kann? Falls Speed das nicht eindeutig darlegt, bliebe die Triade als etwas vage Konstruktion zurück. Allerdings ist zu bedenken, dass er insgesamt 300+ Seiten hat; vermutlich nimmt er sich schon Zeit, diese Idee auszubuchstabieren.

Neudefinition physikalischer Grundbegriffe (Kapitel 3)

Im folgenden Buchteil (etwa mittleres Drittel des Buches) appliziert Speed seine Ontologie gezielt auf physikalische Konzepte. Hier wird wissenschaftlich interessierte Leser:innen besonders interessieren, wie tragfähig seine Ideen in der harten Physik sind. Aus dem Text wissen wir, dass Speed ein ganzes Unterkapitel dem Thema Raum und Zeit widmet und auch Gravitation aus MNO-Sicht interpretiert. Daher lässt sich annehmen, dass Kapitel 3 genau diese Inhalte behandelt: die Konsequenzen des MNO-Ansatzes für die Grundpfeiler der Physik – Raum, Zeit, Materie, Kraft.

Möglicher Aufbau dieses Kapitels:

  • Raum und Zeit als emergente Phänomene: Speed erläutert hier ausführlich die Idee, die im Grundlagenkapitel kurz angedeutet wurde: Raum ist „organisierte Abwesenheit“. Er dürfte dies untermauern, vielleicht mit Beispielen oder Analysen: Zum Beispiel könnte er die Frage stellen, was in einer Welt ohne Objekte der Raum bedeutet – seine Antwort: er wäre schlicht nicht vorhanden, Raum ist immer relational zu dem, was fehlt. Das mag an Machs Prinzip erinnern (Machscher Satz: Die Trägheit eines Körpers hängt von der Gesamtmasse im Universum ab – übertragen könnte man sagen: Die Struktur des Raums hängt davon ab, was drin ist oder was fehlt). Speed treibt es ins Extreme: Ist irgendwo gar nichts (ein MNO), entsteht dort Raum. Zeit beschreibt er als fortwährende Iteration der Realitätsbildung, sprich die ständige Bildung neuer Schichten ist der Fluss der Zeit. Er könnte argumentieren, dass dies erklärt, warum Zeit subjektiv als „immer neues Jetzt“ erfahren wird – weil in jedem Moment literally eine neue Realitätskonfiguration vorliegt. Spannend wäre, ob Speed damit irgendeine messbare Aussage macht, z.B. ob dieser schichtweise Charakter der Zeit sich in etwas wie der Quantisierung von Zeit (Planck-Zeit?) widerspiegelt. Das ist Spekulation, aber seine Formulierungen legen nahe, dass er Zeit nicht für kontinuierlich hält, sondern für eine Art Folge diskreter Aktualisierungen (er spricht ja von „Folge von Verschiebungen“ und dass jede Schicht eine neue Gegenwart ist).

  • Gravitation als ontologisches Bestreben: Dieses Teilthema hat Speed sehr bildhaft umrissen. In Kapitel 3 wird er die provokante Aussage „ohne Verlust keine Gravitation“ bzw. „Gravitation = Wirklichkeits-Schließungsdrang“ erläutern. Er könnte gedanklich das Newtonsche Gravitationsgesetz oder Einsteins Gleichungen vom Kopf auf die Füße stellen: Nicht Massen verursachen Gravitation, sondern Gravitation (verstanden als universaler Drang, die Lücke zu schließen) veranlasst die Massen, sich zusammenzufinden. Letztlich ändert das für die phänomenologische Beschreibung nichts – zwei Massen ziehen sich weiter an –, aber die Deutung ist eine fundamental andere. Für Physiker ist das selbstverständlich nonstandard; Speed muss also argumentativ aufpassen, hier nicht als bloß poetisch abgetan zu werden. Er liefert den Satz: „Sie [die Gravitation] ist nicht Folge von Materie, sondern von Unvollständigkeit.“. Das ist ein starkes Zitat, das er im Buch sicher auch begründet. Möglicherweise verweist er auf offene Fragen der Kosmologie (z.B. warum die Gravitationskonstante gerade diesen Wert hat, oder warum das Universum nicht stabil ist), um zu zeigen, dass ein solches ontologisches Prinzip denkbar ist.

  • Masse, Energie und Teilchen: In einem Physik-Kapitel würde man erwarten, dass Speed auch etwas zu Materie sagt. Wenn Raum und Zeit durch Lücken entstehen, was sind dann Elementarteilchen oder Energie? Möglicherweise deutet Speed an, dass auch Materie keine Substanz an sich ist, sondern Verklumpung von Ordnung um eine Leere. Z.B. ein Elektron könnte man dann als eine stabile Konfiguration um eine kleine Lücke in einem Feld interpretieren. Das wäre fast analog zu topologischen Defekten: In der Physik kennt man das Konzept, dass Teilchen als Loch oder Defekt in einem Medium aufgefasst werden können (wie ein Wirbel in einem Feld). Speed erwähnt z.B., dass sein Ansatz die klassische Teilchenforschung infrage stellt, weil MNO-Zusammenhänge jenseits konventioneller Raum-Zeit-Beziehungen existieren. Er könnte damit meinen, dass die Suche nach immer kleineren Teilchen (Materie als Objektkaskade) in die Irre führt – weil letztlich am Grunde kein Teilchen, sondern ein Nichts steht, welches aber nicht als solches gemessen werden kann (jede Messung liefert nur Repräsentanzen des MNO, niemals das MNO selbst). Diese Aussage aus seinem Thesenpapier impliziert: man kann immer nur die Auswirkungen der Lücke sehen, aber nicht die Lücke direkt. Ein Philosoph könnte hier an Kant denken (Ding an sich unerkennbar, nur Erscheinungen erfahrbar). Speed formuliert es aber in seinem Jargon als Warnung an die Physik: egal wie tief ihr bohrt, das Letzte ist kein Ding.

  • Formeln und Modelle: Interessant an Kapitel 3 ist, dass Speed durchaus versucht, modellhafte Beschreibungen einzuführen. Wir sahen Hinweise auf mathematische Notation (Ω, Δ, Indizes, etc.). Er beschreibt gar eine Art Ereignishorizont jeder neuen Differenzebene und vergleicht es mit bekannten Systemen: „An seiner Innenkante zündet Selbstorganisation. In neuronalen Netzen: Mikro-Avalanches; in Ökosystemen: trophische Kaskaden; im sozialen Raum: Trend-Blitze.“. Hier verknüpft er Physik mit anderen Gebieten: Jede neu gebildete Schicht hat an ihrem Rand eine kritische Zone, in der spontanes Neues entsteht (Selbstorganisation zündet). Und er gibt Beispiele aus Neuro, Öko und Sozio. Das ist bemerkenswert – er zeigt damit, dass sein Schichtmodell universell angewandt werden kann. In neuronalen Netzen wären es die kritischen Lawinen (SOC), in Ökosystemen vielleicht Kettenreaktionen wenn eine neue Spezies auftaucht, in sozialen Systemen Mode-Erscheinungen („Trend-Blitze“) bei neuen Ideen. Damit illustriert Speed anschaulich, was seine Theorie praktisch bedeutet: Emergenzphänomene über alle Skalen hinweg lassen sich einheitlich verstehen als Falten an einer neuen Wirklichkeitsschicht.

Zusätzlich nennt er konkrete empirische Raster: etwa SOC-Mapping im Gehirn (den Exponenten α tracken, Peaks markieren Onsets neuer Falten). Oder Origami-Benchmarks in der KI – indem man KI-Netze tiefer macht, springt der Integrationswert Φ schubweise (Verweis auf IIT). Oder agentenbasierte Simulationen in sozioökonomischen Modellen – streicht man eine Ressource Δ (also erzeugt künstlich einen Mangel), beobachtet man, wie sich die Regeln neu falten. Diese Ideen zeigen, dass Speed im Physik/Modelle-Kapitel Brücken zur experimentellen Überprüfung schlägt. Er skizziert, wie man Elemente seiner Theorie testen oder veranschaulichen könnte: z.B. indem man im Labor gezielt Lücken einführt (Fehlreize im Gehirn, Wegfall von Komponenten in Simulationen) und schaut, ob sprunghaft neue Ordnungen entstehen – was seine Theorie prognostiziert. Das ist ausgesprochen innovativ, da es dem oft rein spekulativ erscheinenden Überbau eine pragmatische Note gibt. Es bettet Speeds Metaphysik in ein Forschungsprogramm ein, das anschlussfähig wäre an konkrete Studien (in der Netzwerkphysik, KI-Forschung oder Soziologie).

Abschließend könnte Kapitel 3 noch einen Vergleich mit anderen physikalischen Fundamentaltheorien bringen (z.B. ob sein Modell eher zu einem monistischen oder dualistischen Weltbild passt, etc.). Er erwähnt auf seiner Website z.B., dass das MNO paradoxe Zustände beschreiben kann und ein Verständnis nicht-materieller Ordnungsmuster jenseits konventioneller Raum-Zeit absteckt. Das klingt so, als positioniere er seine Idee auch gegenüber Esoterik oder Spiritualität: Indem er Nicht-Materielles (Nichts) als Teil der realen Ordnung akzeptiert, bräuchte man aber keine mystischen Annahmen – es ist in der Struktur erlaubt. Damit könnte er eventuell auch den Bogen schlagen zu Themen wie Bewusstsein außerhalb des Gehirns oder so (wenn Information aus Lücken entsteht, heißt das ggf., dass Bewusstsein nicht streng an Materie gebunden ist, aber dennoch natürlich erklärt werden kann).

Kapitel 3 dürfte daher für Fachwissenschaftler:innen besonders anregend wie auch provokant sein: Speed behandelt altbekannte Grundbegriffe auf völlig neue Weise. Manche Aussagen klingen ketzerisch (etwa zur Gravitation), andere fast trivial (Raum als Abwesenheit – im Sinne dass ein leerer Raum ja schon immer als „Nichts drin“ definiert war). Die Kunst liegt darin, dies stringent zusammenzuführen. Bisherige Leserkommentare deuten darauf hin, dass ihm das in weiten Teilen gelungen ist, da viele Aspekte in seiner Physik-Revision anschlussfähig sind. Allerdings bleibt natürlich offen, ob die scientific community seine Neudefinitionen akzeptieren würde, solange sie nicht mathematisch ausgearbeitet sind. Als Gedankenexperiment jedoch leistet dieses Kapitel viel: es erweitert den Horizont, was Physik bedeuten könnte, wenn man radikal umdenkt.

Information als emergentes Phänomen der Lücke (Kapitel 4)

Ein weiteres zentrales Kapitel des Buches – vermutlich im späteren Verlauf – widmet sich dem Thema Information. Angesichts der Bedeutung von Informationstheorie (Shannon) und integrierter Information (IIT) ist es folgerichtig, dass Speed einen eigenen Abschnitt dazu verfasst. In den Suchergebnissen taucht ein Kapitel „Informationsontologie und das Unsichtbare Maß“ auf, was sehr wahrscheinlich der Titel dieses Teils ist.

In diesem Kapitel verbindet Speed seine Ontologie direkt mit dem Begriff der Bedeutung und Information. Er stellt eingangs die Frage: „Was ist Information – und wo kommt sie her?“. Darauf antwortet er in bekannter Manier: In der MNO-Theorie wird Information nicht als etwas angesehen, das in der Welt bereits vorhanden ist (wie Bits in einem Computer), sondern als das, was aus der Lücke entsteht. Dieser Satz ist äußerst prägnant: „Information ist nicht, was gesagt wird. Sondern was entsteht, wenn etwas fehlt.“. Damit liefert Speed eine komplementäre Definition zu Shannon: In der klassischen Informationstheorie (Shannon) ist Information an Überraschung oder Unwahrscheinlichkeit eines Ereignisses gekoppelt (rein syntaktisch: je unwahrscheinlicher, desto mehr Bits). Speed hält das für funktional brauchbar, aber es trifft nicht den Kern – es bleibt syntaktisch und sagt nichts über Sinn oder Bedeutung. Er möchte Information ontologisch verstehen: Der entscheidende Aspekt von Information ist, dass sie eine Formbildung aus Mangel darstellt. Ohne eine Lücke keine neue Form, ohne Form keine Information.

Dies ist ein tiefer Gedanke: Er besagt, dass Bedeutung genau dann entsteht, wenn ein System etwas kompensieren muss, was nicht da ist. Zum Beispiel kann man interpretieren: Ein gesprochenes Wort ist nicht einfach ein Muster von Schall (Information im Shannon-Sinn), sondern bekommt Bedeutung erst vor dem Hintergrund dessen, was nicht gesagt wurde. Kontext entsteht durch Lücken. Oder im Gehirn: Ein Neuron feuert, aber erst das Schweigen der anderen (die Leere in bestimmten Kanälen) gibt diesem Feuern den spezifischen Informationsgehalt.

Speed sagt es so: Die Lücke ist die „Quelle der Form“. Jede Gestalt ist der Versuch, eine Lücke zu schließen, ohne es je ganz zu schaffen – in diesem Misslingen liegt der Ursprung von Form und damit von Bedeutung. Dieser Ansatz reiht ihn in philosophische Überlegungen ein, die Abwesenheit und Differenz als sinnstiftend ansehen (man denkt an Derridas différance im Poststrukturalismus, oder an Gregory Batesons Definition „Information is a difference that makes a difference“). Tatsächlich aktualisiert Speed Bateson: Differenz, die einen Unterschied macht, entsteht hier genau da, wo etwas fehlt und dadurch eine neue Ordnung nötig wird.

Im Kapitel zu Information wird Speed vermutlich aufzeigen, wie seine Sicht qualitative Aspekte einbringt, die über den reinen Shannon-Formalismus hinausgehen. Er spricht vom „Unsichtbaren Maß“ – womit er auf eine Art Bedeutungsmaß anspielt, das klassische Informationstheorie nicht erfasst. Vielleicht schlägt er hier sogar einen Bogen zur Integrated Information $\Phi$ aus IIT: Tononis $\Phi$ soll ja ein Maß für Bewusstseinsmenge sein; Speed könnte vorschlagen, dass $\Phi$ erhöht wird, wenn im System mehr relevante Lücken auftreten, also mehr Potential für neue Ordnungsbildung. Das ist spekulativ, aber aus seiner Tabelle wissen wir: MNO verknüpft SOC, IIT, GNW – das heißt, im Informationsteil könnte er auch erwähnen, dass $\Phi$ ohne ontologischen Kontext nur halbe Aussagekraft hat. Mit MNO bekäme $\Phi$ eine Art ontologische Verankerung (warum gerade diese Information integriert ist: weil da eine Lücke war, die gefüllt wurde).

Ein wichtiges Anliegen in diesem Kapitel ist sicher, den Begriff Information mit Bedeutung zusammenzuführen. Indem er Information an Fehlen koppelt, rückt er sie nah an Sinnfrage: Sinn entsteht, wo etwas nicht trivial gegeben ist, wo ein Kontextlücke besteht, die der Empfänger füllen muss. Die Schaffung von Bedeutung wird somit zum kreativen Akt, ähnlich wie Gravitation ein kreativer Akt war. Hier schließt sich auch der Kreis zurück zum Bewusstsein: Bewusstsein kann man als System sehen, das ständig Lücken erkennt und füllt – so entstehen Bedeutungen.

Interessanterweise sind Speeds Ausführungen zur Information mit der Menschheitsgeschichte und Kultur verknüpft: Er erwähnt, wir lebten in einer Welt voller Daten und Codes, aber was Information wirklich ist, sei tiefergehend – „etwas, das mit Bedeutung, mit Sinn, mit Realität selbst zu tun hat“. Das impliziert, dass sein Modell vielleicht auch die Medienkritik oder die moderne Informationsgesellschaft kommentiert. (Tatsächlich hat Speed laut [21] schon 2000 mit Neil Postman über die Rolle der Medien diskutiert, was seine langjährige Auseinandersetzung mit Informationskultur zeigt.) Die Physik der Armen formuliert nun eine Art Informationsontologie, die man sozial und epistemisch fruchtbar machen kann: Wenn man anerkennt, dass Information nur durch Lücken entsteht, heißt das auch, dass z.B. Überfluss an Information (Datenflut) paradoxerweise zu Weniger sinnstiftender Information führt, weil keine Lücken mehr bleiben (man hat zu allem irgendeinen Reiz). Das wäre eine radikale Kritik an der digitalen Gesellschaft – es passt zu Speeds genereller Gesellschaftskritik.

Inhaltlich liefert Kapitel 4 also:

  • Eine Neudefinition von Information als Lückenprodukt.

  • Eine Kritik an rein quantitativer Informationstheorie (Shannon) zugunsten einer qualitativen Sicht, wo Unwahrscheinlichkeit allein nicht reicht – es braucht Bezug zu einem Mangel, damit Info Bedeutung hat.

  • Wahrscheinlich Beispiele, die das greifbar machen (vielleicht sprachliche Beispiele oder wie im Hirn fehlende Reize zu Phantomwahrnehmungen führen, etc.).

  • Eine Einbettung in den Gesamtrahmen: Information ist das Bindeglied zwischen der physischen und der subjektiven Welt – sie entsteht aus dem Nichts und ermöglicht dadurch erst Bewusstsein. Hier könnte Speed behaupten, er habe eine neue Perspektive aufs Hard Problem: Wenn Information der Kern von Bewusstsein ist (Tononi) und diese Information wiederum nur aus Lücken entspringt (Speed), dann verschiebt sich das Hard Problem darauf, die Struktur dieser Lücken zu verstehen. Das ist zwar immer noch abstrakt, aber es ist zumindest ein anderer Zugang: Das Mysterium „Wie wird Materie zu Geist?“ wird ersetzt durch „Wie entsteht Information aus Nichts?“ – was beides mysteriös klingt, aber letzteres ist in Speeds Augen produktiver zu untersuchen.

Kapitel 4 dürfte relativ zugänglich sein, da der Informationsbegriff vielen vertraut ist und Speed hier sehr klare Sentenzen bringt (wie das obige Zitat). Es liefert dem Buch die theoretische Abrundung, indem es die zuvor etablierten Ideen auf die allgegenwärtige Domäne der Information anwendet – und damit wieder den Bogen zu Bewusstsein und Gesellschaft schlägt (denn über Information redet man sowohl in Physik als auch in Soziologie, Kultur etc.).

Bedeutung für Mensch und Gesellschaft (Kapitel 5)

Gegen Ende des Buches wendet sich Speed explizit den Implikationen für den Menschen als handelndes Subjekt und für die gesellschaftliche Ordnung zu. Ein Kapitel mit dem Titel „Bedeutung für Mensch und Gesellschaft“ ist belegt. Hier tritt die normative und transformative Dimension seiner Arbeit hervor: Nachdem die Theorie ausgelegt ist, fragt Speed, was folgt daraus für uns Menschen?

In diesem Abschlussteil argumentiert Speed, dass der Mensch in seinem Weltbild kein passiver Materieklumpen in einem materiellen Weltbild mehr ist, sondern ein aktiver Faltungsakteurfile-tcfyasxngwhgk2hdnht2fu. Das ist eine direkte Konsequenz aus allem zuvor: Wenn Realität aus Faltungen um Lücken entsteht, dann ist jeder Mensch Teil dieses Faltungsgeschehens – ja, er kann bewusst damit interagieren. Speed malt ein Bild des befreiten Subjekts: „Jede Entscheidung, jede Geste, jede solidarische Ordnung ist eine neue Involution dieses Nullpunkts.“ Damit meint er: Jede echte (kreative, freie) Handlung eines Menschen stellt eine Weiterfaltung der Wirklichkeit aus dem Nichts dar. Menschen haben also die Fähigkeit, die Lücke schöpferisch auszudehnen und so neue Möglichkeitsräume aufzuschlagen. Freiheit bedeutet in diesem Kontext, die eigene Faltung bewusst zu modulieren – auch gegen die Schwerkraft traditioneller Strukturen (man beachte die Anspielung: „Schwerkraft“ der Tradition – hier nutzt er sein Gravitationsbild nun metaphorisch für sozialen Druck). Kreativität ist die Technik, „aus dem Nichts immer wieder neue Möglichkeitsräume aufzuschlagen“. Das ist ein starkes Plädoyer dafür, kreativ-deviantes Verhalten nicht als störend zu sehen, sondern als weltgestaltend.

Folgerichtig folgert Speed: Gesellschaft wird somit nicht durch Material und Macht bestimmt, sondern durch die Qualität unserer selbstbestimmten, kreativen Prozesse. Je offener das MNO in uns schwingen kann (poetisch für: je mehr wir uns auf Lücken, Unsicherheiten einlassen und daraus Neues schaffen), desto größer das Potenzial für gemeinsame Transformation. Hier transformiert Speed seine Theorie in eine soziale Utopie: Eine Gesellschaft, die das Nichts (das Nicht-Festgelegte) zulässt und sogar kultiviert, wäre radikal wandlungs- und anpassungsfähig, frei und kreativ. Anders gesagt, er fordert, die bislang unsichtbaren kreativen Leerstellen in unser soziales Ordnungsprinzip zu integrieren.

Dies untermauert er mit konkreten zeitkritischen Aussagen: Er greift (teils im Klappentext, teils implizit) die Realitätsbegriffe von Politik und Ökonomie an. Er sagt, wir müssten die Objektivität erweitern, um subjektives Erleben als Grundlage gesellschaftlicher Entscheidungen anzuerkennen. Kreativität und Humanität sollen als Ordnungsprinzip des Universums legitimiert werden, statt dem Markt und den Objekten weichen zu müssen. Das heißt, er leitet aus seiner Physik ethische Imperative ab: Was auf fundamentalster Ebene gilt (Kreativität durch Lücken) sollte auch unser Zusammenleben organisieren. Das ist revolutionär: Er gibt der oft kalten, mechanistischen Wissenschaft ein menschliches Gesicht und fordert einen Schulterschluss von Erkenntnis und Ethik.

Speed macht auch deutlich, dass sein Werk eine Selbstermächtigung des kreativen Menschen darstellt. Gerade Menschen, die abweichen (Neurodivergente, Künstler, Ausgegrenzte), bekommen hier theoretischen Rückenwind: Ihre Abweichung ist nicht Makel, sondern essentiell für ein gesundes System, da sie die Submergenz durchbrechen. Er zeigt, wie die bislang „verschütteten physikalischen Grundlagen jener Ordnung, die im kreativen Prozess lebendiger Organismen liegt“ jetzt geliefert werden. Das ist ein hoher Anspruch – er will den kreativen Prozessen, die Biologie und Sozialität ausmachen, ein Fundament geben, sodass sie nicht länger als zweitrangig gegenüber ökonomischen Kennzahlen gelten.

Man spürt in diesem Kapitel deutlich Speeds kapitalismuskritische Haltung. Er selbst „lebt seit mehr als 20 Jahren Kapitalismuskritik, wie es sonst niemand tut“ – er konfrontiert Konzerne und Regierungen mit der ganzen Persönlichkeit des unangepassten Individuums, wird von ManagerInnen gefürchtet und geschätzt, sein Widerstand ist ein Akt der kreativen Schöpfung. Diese Hintergrundinfo (aus dem Klappentext) zeigt, dass Speed hier Theorie und persönliche Praxis vereint. Die Physik der Armen ist damit auch ein politisches Manifest im Gewand einer Theorie: Es legitimiert Widerstand gegen das Bestehende durch Verweis auf die Grundstruktur der Realität. Wenn Realität starr wird, geht Information und Entwicklungsfähigkeit verloren – analog: wenn Gesellschaft starr wird (Submergenz), geht Intelligenz und Gerechtigkeit verloren. Die Lösung auf beiden Ebenen: Lücken schaffen, Diversität fördern. Konkret fordert Speed z.B. die Abkehr von Massenprodukten hin zu diversifizierten, ökologisch-integrativen Strukturen – also Wirtschaft als Ökosystem mit Nischen, nicht als Monokultur. Er kritisiert die Wertgrenzen des Kapitalismus, die alles an einem Maßstab misst und Alternativen unterdrückt. Sein physikalisches Nichts entspricht gesellschaftlich dem Entzug ökonomischer Verwertung: wertvolles menschliches Tun wird unsichtbar gemacht, Menschen werden entkoppelt vom System. Speeds Theorie entlarvt dies als fundamental falsch – weil es die Lücken (individuelle Beiträge jenseits marktlogischer Verwertung) ausmerzt und damit die kollektive Kreativität stranguliert.

Kapitel 5 zeichnet somit eine Art Zielvision: Eine humane Gesellschaft, die Speeds Prinzipien nutzt, wäre eine mit maximaler Entfaltungsfreiheit (er spricht vom „Entfaltungsabstand“ als Maß für erlebte Freiheit jenseits bloßen Wohlstands). In einer solchen Gesellschaft sind Individuen nicht Schachfiguren, sondern Mit-Schöpfer der Realitätsstruktur. Das klingt fast nach einem spiritual empowerement – aber Speed verankert es rational in seiner vorangegangenen Argumentation.

Für die Leser bildet dieses Schlusskapitel den Brückenschlag zur konkreten Wirklichkeit: Nach viel Theorie wird klar, warum das Ganze relevant ist. Es beantwortet die Frage: Was heißt das nun für uns und die Zukunft? Speed liefert Antworten: Es heißt, dass wir eine andere Haltung zur Realität einnehmen müssen, aktiver, mutiger im Umgang mit Unbestimmtheit. Gesellschaftliche Konsequenzen könnten sein: Änderung von Bildung (weg von Auswendigwissen, hin zu Lücken-Finden und Kreativität), von Wirtschaft (hin zu Kreislaufwirtschaft mit Diversität), von Politik (mehr Pluralismus und subjektive Perspektiven ernst nehmen).

Damit endet das Buch vermutlich in einem optimistischen Ausblick, aber sicher nicht ohne darauf hinzuweisen, dass dies ein Bruch mit der akademischen Gewohnheit und dem Mainstream ist. Speeds eigenes Standing als Außenseiter verleiht diesen Worten Gewicht. Der Leser bleibt mit dem Eindruck zurück, ein Manifest gelesen zu haben, das sowohl intellektuell stimulierend als auch moralisch inspirierend ist.

Würdigung: Innovativer Beitrag und kritische Betrachtung

Timothy Speed ist mit Die Physik der Armen ein überaus ambitioniertes Werk gelungen, das in mehrfacher Hinsicht innovativ und originär ist. Die interdisziplinäre Bandbreite und die Kombination aus Theorie und persönlicher Perspektive sind in der Form nahezu beispiellos. Zunächst sollen die bahnbrechenden Aspekte und Stärken des Buches hervorgehoben werden, bevor anschließend auch auf Kritikpunkte und Schwächen eingegangen wird.

Stärken und originäre Beiträge:

  • Paradigmenwechsel durch Perspektivumkehr: Speed liefert einen echten Neudenkanstoß, indem er die üblichen ontologischen Prioritäten umkehrt – statt Sein vor Nichts zu setzen, gibt er dem Nichts den Vorrang. Dieser Kniff, so einfach er klingt, erlaubt ihm, festgefahrene Probleme wie das Bewusstseinsproblem aus einem neuen Winkel zu beleuchten. Insbesondere die Idee, Bewusstsein als Lückenphänomen zu verstehen (eine „emergente Entscheidung innerhalb einer Lücke“), kann als origineller Beitrag zur Bewusstseinstheorie gelten. Sie verbindet Bereiche, die sonst getrennt betrachtet werden (Neurodynamik, subjektives Erleben, Entropie), unter einem gemeinsamen Prinzip. Damit eröffnet Speed eine neue Debatte: Könnte Subjektivität tatsächlich eher durch Abwesenheit als durch Präsenz erklärbar sein? Diese Frage hätte ohne seinen Perspektivwechsel kaum jemand gestellt.

  • Integration transdisziplinärer Theorien: Das Buch glänzt mit seinem Bemühen, verschiedene Fachtheorien in einen Dialog zu bringen. Speed vereint Konzepte aus der Neurowissenschaft (IIT, GNW, SOC) mit physikalischen und mathematischen Theorien (QFT, Gravitation, Topos) und übersetzt zwischen ihren Sprachen. Diese Meta-Integration ist an sich schon ein Fortschritt, da sie den häufig siloartigen Disziplinen zeigt, wo Berührungspunkte liegen. Besonders in der Bewusstseinsforschung, die notorisch fragmentiert ist, wirkt Speeds Vorstoß stimulierend: Er bietet ein Rahmenwerk, in dem Platz ist für die kritische Dynamik der Hirnaktivität, für Tononis Informationsmaß $\Phi$ und für den globalen Zugang von Inhalten. Seine Tabelle, die MNO mit SOC, IIT, GNW vergleicht, macht transparent, welche Elemente der gängigen Modelle sich kombinieren lassen. Das ist nicht nur intellektuell elegant, sondern könnte auch praktisch Forschern helfen, über den Tellerrand zu blicken (z.B. ein Neurowissenschaftler könnte inspiriert werden, die Rolle von Lücken/Silence im Gehirn experimentell zu untersuchen – etwas, das Speed als relevant vorschlägt). Insgesamt leistet Speed hier Pionierarbeit für einen integrierten Wissenschaftsdiskurs, was im Zeitalter hochspezialisierter Forschung äußerst wertvoll ist.

  • Kohärente Meta-Theorie: Trotz der enormen Breite gelingt es Speed, eine verblüffende Kohärenz zu wahren. Die Kernmotive – Lücke, Schichtung, Paradox, Emergenz, Submergenz – ziehen sich stringent durch alle Kapitel und Anwendungsfelder. Ob er von Quanten, Gehirnen oder Gesellschaft spricht, immer wieder zeigt sich das gleiche Muster: „Ohne Verlust kein Wirkliches“, „Information entsteht, wenn etwas fehlt“, „Gravitation = Rückbindung an Lücke“, „Kreativität = neue Faltung aus dem Nichts“. Diese Wiederholung ist keine Redundanz, sondern schafft eine robuste einheitliche Erzählung. Es ist selten, dass jemand eine Idee so universell anwendet und dabei nicht in Widersprüche stolpert. Speed schafft eine Art All-Ebene (Meta-Ebene), auf der scheinbar disparate Phänomene vergleichbar werden. Das ist ein Merkmal großer Theorien (man denke an Synergetik oder Kybernetik in ihren Anfangstagen). Damit positioniert er seine Arbeit – vielleicht etwas verwegen, aber nicht völlig ungerechtfertigt – als „vollständige Strukturtheorie der Wirklichkeit“. Der Anspruch wirkt nicht leer, weil das Buch aufzeigt, dass tatsächlich alle betrachteten Wirklichkeitsbereiche nach denselben Prinzipien durchleuchtet werden können. Diese innere Konsistenz bei gleichzeitigem Umfang ist eine intellektuelle Leistung.

  • Epistemische und gesellschaftliche Relevanz: Die Physik der Armen bleibt nicht im Abstrakten, sondern betont stets die Bedeutung für den Menschen und die Gesellschaft. Das ist eine Stärke, denn es macht die Theorie greifbar und wichtig. Speed liefert quasi ein Weltbild, das unmittelbar normative Konsequenzen hat: Etwa, dass Kreativität und Humanität als Ordnungsprinzip legitimiert werden, anstatt Marktgesetzen zu weichen. Indem er seine Theorie auf Armut, Diversität, Normierung anwendet, zeigt er eine Verantwortung des Denkens: Theorie soll helfen, die Welt besser zu verstehen, um sie besser gestalten zu können. Diese Einheit von Theorie und Praxis, Erkenntnis und Ethik verleiht dem Werk Tiefgang. Es ist damit nicht nur für Physiker oder Philosophen von Interesse, sondern spricht auch Sozialwissenschaftler, Kulturwissenschaftler und politisch Interessierte an. Die neurodivergente Perspektive macht es zudem zu einem Referenzpunkt für Inklusion in der Wissenschaft: Es liefert ein Beispiel, wie alternative Denkweisen bahnbrechende Ideen generieren können. Damit setzt Speed implizit auch einen Appell an die Wissenschaftsgemeinde, marginalisierte Stimmen ernster zu nehmen – was als Botschaft sehr zeitgemäß ist.

  • Ansatz zur Lösung des Hard Problems: Nicht zuletzt könnte Speeds Vorschlag als neuer Lösungsansatz für das Hard Problem gewertet werden. Indem er die Frage nach dem Ursprung der Qualia in die Frage nach der Form der Leere transformiert, umgeht er gewisse Sackgassen, in denen sich andere Theorien befinden. Er versucht gar nicht erst, subjektive Erlebnisqualität aus bekannter Physik abzuleiten (was viele für unmöglich halten), sondern postuliert eine unbekannte ontologische Komponente (die Lücke), die genau so beschaffen ist, dass Subjektivität darin entstehen kann. Das ist ein bisschen wie eine Kartenerweiterung im Spiel: anstatt zu beweisen, dass Bewusstsein in der bisherigen Physik Platz hat, erweitert er die Physik. Kritiker mögen sagen, er verschiebt nur das Problem woanders hin; aber häufig hat sich in Wissenschaftsgeschichte gezeigt, dass das Erweitern des methodischen Rahmens nötig war (z.B. Erweiterung der Geometrie im Relativitätsfall). Hier wird zumindest ein konsistentes, wenn auch spekulatives Rahmenwerk angeboten, das in Zukunft – sofern verfeinert – durchaus das Hard Problem in neuen Begriffen formulieren und eventuell lösen helfen könnte. Schon die Betonung, nicht nach dem Ursprung von Qualia, sondern nach dem Medium zu fragen, aus dem sie emergieren, ist ein wertvoller gedanklicher Schritt.

Schwächen und Kritikpunkte:

Bei aller Anerkennung gibt es natürlich Aspekte, die kritisch anzumerken sind. Die Physik der Armen steht als Grenzgängerwerk zwangsläufig in der Kritik von mehreren Seiten, und einige theoretische Schwächen bzw. offene Fragen sollten benannt werden:

  • Fehlende empirische Untermauerung: So faszinierend Speeds Konzepte sind, sie bleiben zum Großteil theoretisch und metaphorisch, ohne unmittelbare empirische Bestätigung. Der Autor deutet zwar experimentelle Ansätze an (z.B. SOC-Mapping, Simulationen), doch diese sind im Buch eher Skizzen als konkrete Resultate. Kritische Naturwissenschaftler könnten bemängeln, dass das Modell nicht falsifizierbar oder testbar genug formuliert ist. Die MNO-Ontologie liefert qualitativ stimmige Erklärbilder (etwa Gravitation als Unvollständigkeitstendenz), aber kann sie z.B. quantitativ dieselben Vorhersagen machen wie Einstein? Vermutlich (noch) nicht. Hier besteht die Gefahr, dass die Physik-Community die Ideen als „nicht einmal falsch“ abtut – also als hübsche Metaphern ohne messbaren Gehalt. Speed geht zwar bewusst einen Schritt über die messbare Physik hinaus, aber gerade in Bereichen wie Bewusstseinsforschung werden inzwischen Theorien bevorzugt, die konkrete Experimente anleiten. Seine bleibt (vorerst) spekulativ.

  • Hohe Abstraktion und Terminologie: Das Buch benutzt eine eigenschöpferische Terminologie (MNO, ANP, Submergenz etc.), die ohne intensives Einarbeiten nicht sofort verständlich ist. Obwohl Speed im Laufe des Textes viel erklärt, könnten Leser kritisieren, dass manche Begriffe vage oder unscharf bleiben. Besonders die Submergenz-Triade hätte eine genauere konzeptuelle Auflösung verdient – hier bleibt unklar, was genau triadisch ist. Auch das Alles-Nichts-Paradoxon wird zwar beschrieben, aber ob es formal auflösbar ist oder einfach als paradox belassen wird, könnte unbefriedigend sein. Einige Stellen des Buches wirken terminologisch überladen (z.B. Erfinden von Begriffen wie „Realitätenauge“, „ÖkoSprünge“ etc.), was die Gefahr birgt, dass die Substanz hinter den Neologismen nicht immer klar hervortritt. Für Fachleute kann das den Eindruck von Buzzword-Bingo erwecken, obwohl tatsächlich Gedanken dahinter stehen. Hier hätte eine straffere, definitionslastigere Darstellung (auf Kosten der Essayistik) die Verständlichkeit erhöhen können.

  • Sprachstil und Struktur: Wie oben ausgeführt, ist der Sprachstil bewusst brüchig und nonlinear. Das ist künstlerisch-methodisch interessant, könnte aber vom Fachpublikum als Schwäche gesehen werden. Insbesondere Leser aus der Physik oder Philosophie könnten die mangelnde linear-logische Herleitung bemängeln. 

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