Wer Objekte, Produkte, Dinge hat, ist wertvoll. Wer keine hat, ist wertlos. Diese Erfahrung machte der britisch-österreichische Künstler Timothy Speed in vielen Jahren extremer Armut. Er entschied sich als Antwort darauf, die Physik umzuschreiben und nicht die Dinge zur Grundlage der Welt zu machen, sondern das »Nichts«. Dieser scheinbar kleine Kunstgriff hat erhebliche Auswirkungen auf die Strukturen von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft.
Speed greift mit seiner »Neuordnung« den Realitätsbegriff in Politik und Wirtschaft an, fordert eine Erweiterung der Objektivität, um endlich auch das individuelle Erleben der Menschen zu einer Grundlage gesellschaftlicher Entscheidungen zu machen. Zum ersten Mal wird Kreativität und Humanität als Ordnungsprinzip des Universums legitimiert und muss somit nicht mehr den Regeln des Marktes und der Objekte weichen.
Auch formuliert er wichtige Mechanismen der Normierung, wie die Submergenz, durch die in modernen Gesellschaften individuelle Realität als essenzieller Lebensraum verschwindet.
Sein Buch ist eine Selbstermächtigung des kreativen Menschen und liefert die lange verschütteten »physikalischen« Grundlagen jener Ordnung, die im kreativen Prozess lebendiger Organismen liegt.
Durch seinen ungewohnten Ansatz, akademisches Wissen im künstlerischen Prozess und darüber hinaus im Leben selbst zu entwickeln, stärkt er die von der Norm abweichenden Individuen und macht eine neue Art des Gesellschaftsdesigns greifbar und notwendig.
Timothy Speed lebt seit mehr als 20 Jahren Kapitalismuskritik, wie es sonst niemand tut. Er konfrontiert Konzerne und Regierungen mit der ganzen Persönlichkeit des unangepassten Individuums, wird von ManagerInnen und PolitikerInnen gefürchtet und zugleich geschätzt. Sein Widerstand ist ein Akt der kreativen Schöpfung.
Weitere Rezensionen zum Buch:
“Die Physik der Armen” von Timothy Speed ist ein Buch, das sich mit der Neubewertung von Armut und der Rolle des Individuums in der Gesellschaft auseinandersetzt. Speed argumentiert, dass die “weichen Faktoren” des Menschen, wie das Soziale und Kreative, in Krisenzeiten nicht als Lösungen betrachtet werden, weil sie nicht mit Ordnung assoziiert sind. Er kritisiert die Objektzentriertheit der Naturwissenschaften und fordert eine Neuorientierung hin zum Erleben der Menschen. Speeds Grundthese ist, dass Armut erst angegangen werden kann, wenn die Naturwissenschaft sich von ihrem Zwang zur Objektivität löst und sich der erlebten und gelebten Beziehung zuwendet.
Das Buch gliedert sich in verschiedene Kapitel, die sich mit Themen wie der Neuentdeckung der Realität, der Dreiteiligkeit, der vertikalen Ordnung und der Beziehungs-Submergenz befassen. Speed beschreibt eine Vision einer Gesellschaft, in der Kreativität und Humanität als Ordnungsprinzipien des Universums anerkannt werden. Er sieht in der kreativen Schöpfung eine Möglichkeit, die von der Norm abweichenden Individuen zu stärken und eine neue Art des Gesellschaftsdesigns zu ermöglichen.
Speeds Ansatz ist radikal und stellt traditionelle Vorstellungen von Wirtschaft und Politik in Frage. Er lebt eine Form radikaler Beziehungsfähigkeit vor und zeigt, wie individuelle Realität als essenzieller Lebensraum in einer kommerzialisierten Welt erhalten bleiben kann. Seine Arbeit ist eine Form der Kapitalismuskritik, die aufzeigt, wie eine kreativere und humanere Gesellschaft aussehen könnte. Speed fordert ein positives Verständnis von abweichendem Verhalten, um komplexere Ordnungen entstehen zu lassen und echte, demokratische Prozesse zu fördern.
Würde der Inhalt des Buches beachtet, könnte dies zu einer Gesellschaft führen, in der individuelle Erlebnisse und subjektive Wahrnehmungen als Teil der Realität anerkannt und in politische sowie wirtschaftliche Entscheidungen integriert werden. Dies könnte weitreichende Auswirkungen auf die Art und Weise haben, wie wir Armut, Verantwortung und Wertschöpfung verstehen und angehen. Speeds Vision einer anderen Gesellschaft ist eine, in der die Armen aufgewertet werden, indem ihre Erfahrungen und ihr Erleben als wertvoll und real anerkannt werden.
Die besondere Qualität dieser Arbeit liegt in der Verbindung von akademischem Wissen und künstlerischem Prozess, die es ermöglicht, neue Perspektiven auf gesellschaftliche Strukturen zu werfen und die Bedeutung von Kreativität und individueller Gestaltungskraft hervorzuheben. Speeds Buch ist nicht nur eine theoretische Abhandlung, sondern auch ein praktisches Beispiel dafür, wie man durch persönliche Aktionen und kreative Schöpfung gesellschaftliche Veränderungen herbeiführen kann.
Zum Begriff der Submergenz:
Die Submergenz ist ein wesentliches Problem unserer Zeit. Das Konzept macht begreifbar wie Phänomene wie Fake-News, Globalisierung, Simplifizierung, oder der Zerfall der Solidarität, der tiefer gehenden Beziehungen in gesellschaftlichen Strukturen entstehen und wirken.
Submergenz beschreibt einen Zustand, bei dem die Unterscheidungsfähigkeit verloren geht, weil sich Systeme oder Strukturen so stark vereinheitlichen, dass kreative und dynamische Kräfte nachlassen. Dieser Mangel an Kreativität und Entwicklung ist unmittelbar mit einer statischen Definition von Realität verbunden, da die Wahrnehmung von Realität flach und oberflächlich wird.
Im Prozess der Entstehung führt Submergenz zu einer Isolation des Systems, wodurch es komplexe äußere Einflüsse nicht erkennen kann. Dies resultiert in einer Auflösung sozialer Strukturen, Wirtschaftskrisen und einem zunehmenden Verfall der Intelligenz in Führungsebenen.
Die Lösung dieses Zustands liegt in der Wiederbelebung des Systems durch das Etablieren von Beziehungen und Erlebnissen, die von der Norm abweichen – eine Herausforderung der Submergenz durch individuelle und abweichende Wahrnehmungen. Im wirtschaftlichen Kontext bedeutet dies die Abkehr von Massenprodukten und die Förderung diversifizierter, ökologisch-integrativer Strukturen.
Die heutige Relevanz des Konzepts der Submergenz liegt in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen. Zum Beispiel trägt der Zustand der Submergenz in der Politik zu einer Schwächung des Realitätserlebens bei und unterstützt die Entstehung von Populismus, der auf Simplifizierung und die Spaltung von Indimergenz – der blockierten Einheitlichkeit von Objekten – angewiesen ist. In der Wirtschaft verstärkt die Submergenz durch Standardisierung und Versachlichung die Tendenz zum Monopolismus und untergräbt die Lebenskraft von ökonomischen Ökosystemen.
Um der Verflachung der Lösungskompetenzen, dem Rechtsruck, der Simplifizierung, und der Verbreitung von Fake News entgegenzuwirken, müsste eine politische und wirtschaftliche Abkehr von konstanten Submergenz-Streben erfolgen. Dies beinhaltet das Vorleben von echter Diversität, das Ermöglichen abweichender Erfahrungen und eine Abkehr von rein objektivitätsbasiertem Realitätsverständnis. Es erfordert auch, dass sich Individuen und Gesellschaften von starren Konstruktionen lösen und in lebendigen Beziehungen engagieren, um so kreatives und dynamisches Potenzial zu reaktivieren.